Leitartikel06. Dezember 2017

Früchte des Zorns

Die USA werden Jerusalem offenbar als Hauptstadt Israels anerkennen. USA-Präsident Donald Trump werde diese Entscheidung im Laufe des Mittwochs (Ortszeit) bekanntgeben und das Außenministerium mit den Vorbereitungen zum Verlegen der USA-Botschaft nach Jerusalem beauftragen, verlautete am späten Dienstagabend aus dem Weißen Haus.

Die USA-Botschaft solle allerdings nicht sofort verlegt werden, ein solcher Umzug werde Jahre in Anspruch nehmen, sagten Regierungsvertreter, die namentlich nicht genannt wurden. Trump werde somit die Aussetzung eines USA-Gesetzes aus dem Jahr 1995, das Jerusalem als Sitz der USA-Botschaft vorschreibt, ein weiteres Mal unterzeichnen. Die Aussetzung verlängert sich somit zunächst um weitere sechs Monate.

Trump habe am Dienstagnachmittag (Ortszeit) bereits mit Palästinenserpräsident Mahmud Abbas telefoniert und ihn über seine Absicht informiert, »die USA-Botschaft von Tel Aviv nach Jerusalem zu verlegen«.

Das teilte das Büro von Abbas mit. Wann es soweit sein werde, sagte er demnach nicht. Im Grunde wiederholte Trump damit nur eins seiner Wahlkampfversprechen.

Doch die internationale Staatengemeinschaft hat Trump in überwältigender Einhelligkeit seit Tagen vor der Anerkennung Jerusalems als Israels Hauptstadt gewarnt. Unter anderem Mahmud Abbas, der Präsident der Palästinenser, und der jordanische König Abdullah warnten vor gefährlichen Folgen für die Stabilität der ganzen Region. Aus den Reihen der Palästinensischen Autonomiebehörde hieß es, man werde die Kontakte zur USA-Regierung abbrechen, wenn Trump die USA-Botschaft verlegen sollte.

Der saudische König warnte Trump in einem Telefonat, eine Anerkennung Jerusalems als Hauptstadt Israels ohne eine abschließende Regelung mit den Palästinensern würde dem Friedensprozeß im Nahen Osten schaden und die Spannungen in der Region erhöhen. Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan hatte sogar mit dem sofortigen Abbruch der diplomatischen Beziehungen zu Israel gedroht und eindringlich gewarnt: »Herr Trump, Jerusalem ist die rote Linie der Muslime!«

Israel hat Jerusalem schon 1950 zu seiner Hauptstadt erklärt. Dort befinden sich auch der Regierungssitz und das Parlament. Nachdem Israel im Sechstagekrieg 1967 auch den Ostteil der Stadt eroberte, erklärte die Knesset im sogenannten Jerusalem-Gesetz von 1980 »das vollständige und vereinigte Jerusalem« zur Hauptstadt Israels – also einschließlich des völkerrechtswidrig besetzten Ostteils der Stadt. Jedoch erkennt kein Land der Welt Jerusalem als israelische Hauptstadt an und die faktische Annexion Ostjerusalems durch Israel erklärte der UNO-Sicherheitsrat für »null und nichtig«.

Der UNO-Teilungsplan für Palästina aus dem Jahr 1947 hatte vorgesehen, die Stadt unter internationale Verwaltung zu stellen. Dieses Vorhaben ist zwar gescheitert, gleichwohl herrscht unter den Mitgliedern des UNO-Sicherheitsrats bislang Konsens darüber, daß der Status Jerusalems erst im Zuge eines israelisch-palästinensischen Friedensvertrags abschließend geklärt werden sollte.

Mit der Anerkennung Jerusalems als Hauptstadt würde Trump Tatsachen schaffen. Und sein erklärtes Ziel, »den ultimativen Deal« – also Frieden zwischen Israelis und Palästinensern – zu vermitteln, würde unmöglich gemacht. Dabei hat Trump extra seinen Schwiegersohn Jared Kushner mit dieser Aufgabe betraut. Palästinensische Organisationen und Parteien haben ab Mittwoch zu drei »Tagen des Zorns« aufgerufen. Europäische Regierungen warnen vor Reisen nach Israel und Palästina.

Oliver Wagner