Schicksalhafte Entscheidungen in Italien
Rücktritt des Chefs der Demokratischen Partei setzt Draghis Regierung unter Druck. Sardinen-Bewegung will PD-Linke stärken
Im Partito Democratico (PD), der zur Regierung des früheren EZB-Chefs Mario Draghi gehört, sind laut Berichten der Nachrichtenagentur ANSA die Auseinandersetzungen über eine Nachfolge des am 6. März zurückgetretenen Sekretärs Nicola Zingaretti in vollem Gange. Seit zwei Jahren im Amt, galt er und gilt noch als Hoffnungsträger einer Wende der Partei nach Links und der Betonung einer sozialdemokratischen Ausrichtung des PD.
Zingaretti wollte, so das kommunistische online-Portal »Contropiano«, an einer im PD noch immer vorhandenen »Basis« anknüpfen, die der 1990 beseitigten Italienischen Kommunistischen Partei (PCI) nachtrauere, der auch er selbst entstammte, und er habe versucht, deren Reste wiederzubeleben. Zingaretti ist gleichzeitig Regierungschef der wegen ihrer Nähe zu Rom politisch bedeutsamen Region Latium.
Aber im PD dominieren den Kurs Parlamentarier, die fast alle noch von Ex-Premier Matteo Renzi, dem jetzigen Chef der vom PD abgespaltenen Partei Lebendiges Italien (IV) nominiert worden sind. An ihnen sei Nicola Zingaretti gescheitert. Seinen Rücktritt begründete Zingaretti damit, daß er gegen die Beteiligung an der von Draghi gemeinsam mit Faschisten gebildeten sogenannten »Regierung der nationalen Verantwortung« und für den Erhalt der Mitte-Links-Regierung des parteilosen Giuseppe Giuseppe Conte war, aber »allein gelassen« worden sei.
Der Rücktritt des PD-Chefs macht deutlich, daß sehr schnell sichtbar wird, wohin es mit dem früheren EZB-Chef Draghi vor allem in der der Wirtschafts- und Sozialpolitik geht. Ende März steht das »Einfrieren von Entlassungen« an. Gleichzeitig endet die während der Corona-Pandemie den Arbeitern gewährte wirtschaftliche Unterstützung, wenn sie zu Hause bleiben mußten oder ihre Arbeitsstunden reduziert wurden. Der Verband der Großindustriellen Confindustria hat bereits gefordert, diese außerordentliche Gesetzeslage so schnell wie möglich zu beenden, »um wieder die Hände frei zu haben«. Der Rücktritt des PD-Chefs könnte, heißt es in italienischen Medien, für den noch nicht einmal vier Wochen im Amt befindlichen Draghi »ein Erdbeben auslösen«. Zwar verhalten sich die Gewerkschaften noch ruhig, aber CGIL-Generalsekretär Maurizio Landini hat unmißverständlich gefordert, die Maßnahmen über den 31. März hinaus zu verlängern und darüber hinaus, »alle Formen der Arbeit abzudecken, einschließlich der Tätigkeit von Selbstständigen«. Die Investitionen müßten in »ein echtes Reformprojekt« der Beschäftigung fließen.
Hinzu kam Draghis Ankündigung, alle zwischen jetzt und Ende Juni geplanten Regional- und Kommunalwahlen bis nach dem Sommer zu verschieben. Es betrifft u.a. die Regionalwahlen in Kalabrien und die Kommunalen in rund 1.200 Gemeinden, einschließlich solcher Metropolen wie Rom, Mailand, Neapel, Turin. Hinter der vorgeschobenen Begründung wegen der Corona-Beschränkungen steht in Wirklichkeit die Befürchtung, es könnte wieder so kommen wie im Januar 2020 in der Emilia Romagna, wo der sozialdemokratische Amtsinhaber mit 51,4 Prozent im Amt des Regionalpräsidenten bestätigt wurde.
Ein neuer linker Erfolg wäre auch bei den Bürgermeisterwahlen in Rom, ebenso in Mailand und Neapel durchaus möglich. Die reformistische PD, auf die Kapitalkreise vorher setzten, werde aber »nicht mehr gebraucht«, es gehe darum, sie auszuschalten, denn jetzt haben mit Draghi die Vertreter des »pro-europäische Systems« direkt die »Hebel des Kommandos« übernommen und es setze »eine allgemeine Neugestaltung des nationalen politischen Systems« ein, geprägt von der »absoluten Prävalenz einer einzigen Fraktion des Kapitals, den Multinationalen« der EU-Interessen, kommentierte »Contropiano«. Diese Bourgeoisie fordere »Reformen« ausschließlich »auf der Grundlage ihrer eigenen Interessen«.
Zum Retter in der Not könnte für Nicola Zingaretti die Sardinen-Bewegung werden. Die vor drei Jahren entstandene antirassistische Bewegung, die vor allem gegen die faschistisch geprägte Lega ankämpfte, hat sich urplötzlich am Freitag zu Wort gemeldet und schickte am Samstag eine Abordnung mit ihrem Sprecher Matti Santori an der Spitze in die PD-Zentrale, wo sie vier Stunden mit der PD-Vorsitzenden Valentina Cuppi über die von der PD-Linken einzuschlagende Politik sprach. Valentina Cuppi war aus der Linkspartei SeL 2019 zum PD gekommen, unterstützte 2020 die Wahl Zingarettis zum Sekretär und gilt als seine enge Vertraute.
Die Sardinen haben laut ANSA vorgeschlagen, »die Partei ins offene Meer der Konfrontation zu führen«. Die Gespräche sollen in den Sektionen des PD fortgesetzt werden. Das Ganze, meinen Beobachter, sehe nach einer Absprache Zingarettis aus, der, wie ANSA einfügte, zur selben Zeit seinen Rücktritt bekräftigte, jedoch erklärte »Ich bin einen Schritt zur Seite getreten, aber ich verschwinde nicht«. Die Mobilisierung der Sardinen bestätige, daß »die Demokratische Partei eine große Kraft der italienischen Demokratie ist«.
In einer erneuten Stellungnahme äußerte Nicola Zingaretti, er werde auch die Partei nicht verlassen und seine Ideen würden »in der Politik bleiben«. Er wies Spekulationen zurück, er wolle für das Amt des Bürgermeisters von Rom kandidieren, und betonte, er bleibe Präsident der Region des Latium, wobei er auf die erfolgreiche Politik seiner Regionalregierung verwies.
In jedem Fall stehen auf der PD-Versammlung am kommenden Wochenende schicksalhafte Entscheidungen an, die auch die Draghi-Regierung betreffen dürften.