Ausland22. Juni 2021

Schlappe für Le Pen und für Macron

Frankreich: Rekord-Stimmenthaltung bei erster Runde der Regionalwahlen

von Ralf Kliengsick, Paris

Der erste Wahlgang der französischen Regionalwahlen am Sonntag brachte Ergebnisse, mit denen niemand gerechnet hatte. Erschreckend war zunächst, daß nur jeder dritte Wahlberechtigte mitgestimmt hat. Die Stimmenthaltung war mit 66,1 Prozent die höchste von allen Wahlen im Nachkriegsfrankreich. Besonders desinteressiert waren die jüngeren Wahlberechtigten, denn von den 18- bis 35-Jährigen blieben sogar 82 Prozent den Urnen fern. »Eine Demokratie ohne Wähler ist keine Demokratie«, warnte Jean-Luc Mélenchon, Fraktionschef der Bewegung La France insoumise (LFI).

Das Stimmergebnis des ersten Wahlgangs war für die faschistische Bewegung Rassemblement national (RN) niederschmetternd. Während sie bei der letzten Regionalwahl 2015 im ersten Wahlgang in sechs Regionen unter allen angetretenen Listen das beste Ergebnis erzielte – auch wenn sie den Spitzenplatz im zweiten Wahlgang nicht halten konnte – und die Prognosen diesmal mit einem vergleichbaren Ergebnis gerechnet hatten, war es in Wirklichkeit – eine einzige. Nur in der Region Provence-Alpes-Côte d‘Azur landete der RN-Spitzenkandidat Thierry Mariani – ein ehemaliger Minister von Präsident Nicolas Sarkozy, der vor einigen Jahren zur RN abgewandert ist – auf dem ersten Platz.

Selbst in der nördlichen Region Haut-de-France, wo die RN 2015 im ersten Wahlgang 40 Prozent verbuchen konnte, fiel ihr Spitzenkandidat auf 24 Prozent zurück. Nur in acht der 13 Regionen brachte es die RN überhaupt auf die mindestens zehn Prozent, die nötig sind, um am kommenden Sonntag erneut antreten zu dürfen. Für die RN-Chefin Marine Le Pen, die sich von der Regionalwahl eine Generalprobe für die Präsidentschaftswahl 2022 erhofft hatte, war das Abschneiden ihrer Kandidaten eine herbe Enttäuschung. Ihre Bewegung wird diesmal wieder keine Region für sich gewinnen können und auch als Königsmacher im Gekungel mit einzelnen Kandidaten der rechtsbürgerlichen Republikaner (LR) werden die Faschisten nicht gebraucht.

Man kann davon ausgehen, daß die republikanische Front auch in der Region PACA funktioniert und der RN-Kandidat Mariani im zweiten Wahlgang unterliegt. Am Wahlabend sah es erst nicht so aus, denn der Spitzenkandidat Jean-Laurent Félizia der gemeinsamen Liste von Grünen und Sozialisten, der mit 15 Prozent hinter Mariani und dem bisherigen Regionalratspräsidenten Renaud Muselier (LR) auf dem dritten Platz gelandet war, erklärte trotzig, er werde nicht zugunsten des LR-Kandidaten zurücktreten, sondern auch im zweiten Wahlgang antreten. Die Empörung über das gefährliche Manöver, das den Faschisten in dieser Region doch noch eine Chance ließe, war groß. Am Montagmorgen hat Julien Bayou, der Nationalsekretär der Grünen, seinem halsstarrigen Parteifreund Félizia mit Ausschluß gedroht, falls der seine persönlichen Ambitionen nicht sofort der Strategie einer republikanischen Front gegen die Faschisten unterordnet.

Während die rechte Oppositionspartei der Republikaner ebenso wie die linke der Sozialisten nach der eklatanten Niederlage bei der Präsidentschaftswahl 2017, aus der der Weder-rechts-noch-links-Kandidat Emmanuel Macron als Sieger hervorging, eine tiefe Krise durchgemacht hat, konnten sich ihre Regionalratspräsidenten diesmal erstaunlich gut behaupten. Bis auf den LR-Politiker Renaud Muselier in der Region PACA, der – sicher nur vorübergehend – hinter seinen faschistischen Herausforderer Mariani zurückgefallen ist, konnten die sieben rechten Regionalratspräsidenten ebenso wie ihre fünf PS-Kollegen nicht nur ihr Amt erfolgreich verteidigen, sondern oft sogar ihre Positionen ausbauen. In der 13. Region Korsika konnten sich die Nationalisten erfolgreich behaupten. Für die LR-Ratspräsidenten Xavier Bertrand in der Region Haut-de-France, Laurent Wauquiez in der Region Auvergne-Rhône-Alpes und Valérie Pécresse in der Pariser Region Ile-de-France war das gute Abschneiden besonders wichtig, denn sie kämpfen alle drei darum, bei der Präsidentschaftswahl im nächsten Jahr als der Kandidat der Rechten anzutreten.

Für die von Macron gegründete Bewegung LREM (La République en marche), die seit seiner Wahl zum Präsidenten 2017 im Parlament die Regierungsmehrheit stellt, ging die Regionalwahl enttäuschend aus. Es zeigte sich einmal mehr, daß sie in der Provinz kaum überzeugende Politiker und auch nicht viele Anhänger hat. Hinzu kam, daß die rechten wie linken Oppositionsparteien noch nicht einmal an eventuellen Zweckbündnissen mit ihr interessiert waren. Auch Macrons Taktik, Minister zur Verstärkung der LREM-Listen in den Regionen antreten zu lassen, um die bisherigen Ratspräsidenten zu schwächen, funktionierte nicht.

Die Kommunistische Partei und Mélenchons Bewegung LFI konnten für ihre eigenen Listen in keiner Region die zehn Prozent der Stimmen verbuchen, die es ihnen erlauben würden, auch im zweiten Wahlgang anzutreten. Nur da, wo sie sich den Grünen und den Sozialisten angeschlossen hatten, wie z.B. in der Region Haut-de-France, wo die einzige Einheitsliste der Linken zustande gekommen war, sind sie auch am Sonntag noch im Rennen. Aber auch dort ist schon klar, daß sie weit hinter dem Favoriten Bertrand landen werden.