Deutschlands Traditionspartner
Permanente Regierungskrise in Bulgarien. Die Regierungen des Landes waren lange eng mit deutschen Parteienstiftungen verbunden
Das EU- und NATO-Land Bulgarien steht wieder einmal vor einer außerplanmäßigen Parlamentswahl – der bereits vierten seit April 2021. Mehrere Versuche, eine Regierung zu bilden, sind gescheitert. Bei den Wahlen trat eine Vielzahl von »Parteien« an, deren politische Orientierung nicht erkennbar ist, und deren Führungen nicht bereit und in der Lage sind, mit anderen gewählten Mandatsträgern zu kooperieren.
Die neue Regierungskrise in Bulgarien ist Folge einer völlig verfehlten politischen Entwicklung seit dem Sturz des sozialistischen Systems im Jahre 1990 und der Sozialdemokratisierung der früheren Bulgarischen Kommunistischen Partei. Bei dieser Entwicklung haben Parteien der Bundesrepublik Deutschland eine wichtige Rolle gespielt.
Die Regierungen Bulgariens sind jahrelang eng mit deutschen Parteienstiftungen verbunden gewesen. Dies gilt vor allem für die ehemalige Regierungspartei GERB, die mit wenigen Unterbrechungen von 2009 bis 2021 mit Bojko Borissow den Ministerpräsidenten stellte.
Zu den Politikern, die seit den 1990er Jahren maßgeblichen Einfluß in Sofia ausübten, gehört auch ein deutscher Adelsabkömmling, der – einst Zar – in den 2000er Jahren als Ministerpräsident amtierte.
»Preußen des Balkans«
Der erste bulgarische Staat der Neuzeit von Dauer entstand nach der Berliner Konferenz im Jahr 1878. Auf dieser hatte der damalige deutsche Reichskanzler Otto von Bismarck durchgesetzt, daß Bulgarien in drei Teile geteilt wurde; damit wollte er das Entstehen eines starken slawischen und prorussischen Staates in Südosteuropa verhindern. Zum ersten Fürsten Bulgariens wählte die bulgarische Nationalversammlung 1879 einstimmig Prinz Alexander Josef von Battenberg ins Amt. Nach einem Putsch ging dieser 1886 ins Exil, und als Nachfolger wählte das bulgarische Parlament Ferdinand I. von Sachsen-Coburg und Gotha. Fürst Ferdinand I. gelang es, die Wahrnehmung des Landes im Ausland radikal zu ändern: In den Jahrzehnten seiner Amtszeit wandelte sich das deutsche Bulgarienbild stark; die Bulgaren entwickelten sich in der deutschen Perzeption zu den »Preußen des Balkans«.
Verbündeter in den Weltkriegen
Sowohl im Ersten als auch im Zweiten Weltkrieg trat Bulgarien auf deutscher Seite in den Krieg ein. Am Ersten Weltkrieg beteiligte sich das Land ab 1915 auf der Seite der Mittelmächte. Als Deutschland und die mit ihm verbündeten Staaten den Krieg 1918 verloren, ging Ferdinand I., der seit 1908 den Titel eines Zaren führte, ins deutsche Coburg ins Exil. Den bulgarischen Thron übernahm sein Sohn Boris III., der das Land wiederum an der Seite der faschistischen Achsenmächte in den Zweiten Weltkrieg führte. Als Boris III. 1943 unter mysteriösen Umständen starb, übernahm offiziell sein damals sechsjähriger Sohn Simeon II. das Amt des Zaren.
1944 wechselte Bulgarien von den Achsenmächten zu den Alliierten; 1946 wurde es eine Republik. Simeon II. ging über Ägypten ins faschistische Spanien ins Exil. Dort arbeitete er viele Jahre als Vertreter des französischen Rüstungskonzerns Thomson (heute: Thales Group).
Die Zeit der Systemkonfrontation
In der Zeit der Systemkonfrontation pflegte vor allem die DDR enge Beziehungen zur damaligen Volksrepublik Bulgarien. Sie galt für Bulgarien als »so etwas wie ein Vorbild« in Fragen der politischen Organisation und der Wirtschaftsstruktur. Zwischen beiden Staaten gab es, wie Historiker konstatieren, ein »enges Geflecht von politischen Beziehungen«. Allerdings pflegte die Volksrepublik Bulgarien nicht nur mit der DDR, sondern auch mit der BRD ein besonderes Verhältnis: Trotz ausbleibender diplomatischer Beziehungen schloß die Regierung in Sofia 1964 ein Abkommen mit der Bundesrepublik über die Eröffnung einer Handelsmission. Noch im Verlauf der 1960er Jahre stieg die BRD zu Bulgariens wichtigstem Handelspartner außerhalb des realsozialistischen Staatenblocks auf. 1973 nahmen beide Länder dann offiziell diplomatische Beziehungen auf.
Wahlen 1990
Die ersten Parlamentswahlen nach dem Ende des realsozialistischen Systems im Juni 1990 endeten für viele ausländische Beobachter mit einer Überraschung: Bei einer Wahlbeteiligung von über 90 Prozent votierten mehr als 47 Prozent für die Bulgarische Sozialistische Partei, die sich erst im April des Jahres von ihrem alten Namen (Bulgarische Kommunistische Partei) getrennt hatte und nicht mehr dem Marxismus-Leninismus als Ideologie anhing.
Nach über vier Jahrzehnten Realsozialismus wählte die Mehrheit der Wählerschaft die »gewendeten Altkommunisten«, die nach einer Umbenennung ihrer Partei 1990 zunächst ohne Unterbrechung weiterregieren konnten. Das lag unter anderem daran, daß ein Großteil der bulgarischen Gesellschaft die Industrialisierung in der realsozialistischen Zeit als Erfolg ansah.
Der deutsche Thronfolger als Berater
Im Jahr 1996 kehrte die deutsche Zarenfamilie aus dem Hause Sachsen-Coburg und Gotha aus dem spanischen Exil nach Bulgarien zurück. Nach der Übernahme der Regierung durch die bürgerlichen Parteien ein Jahr später arbeitete Kyrill von Sachsen-Coburg und Gotha, Sohn des letzten Zaren und derzeit Thronfolger des bulgarischen Zarenhauses, als Wirtschaftsberater des bulgarischen Staatspräsidenten Petar Stojanow, der bis 2002 als Staatsoberhaupt des Landes amtierte.
Nur elf Wochen vor der Parlamentswahl 2001 gründete dann der aus dem spanischen Exil zurückgekehrte Simeon von Sachsen-Coburg und Gotha seine eigene Partei, die Nationale Bewegung Simeon der Zweite (NDSW). Die wirtschaftsliberale Formation erhielt sofort finanzielle Unterstützung von der FDP-nahen Friedrich-Naumann-Stiftung und gewann erdrutschartig den Urnengang im Sommer des Jahres 2001.
Unter dem vormaligen Zaren, der sich zu dieser Zeit bürgerlich Simeon Sakskoburggotski nannte, nahm das Land 2003 am völkerrechtswidrigen Überfall auf den Irak teil, trat im Jahr 2004 der NATO bei, und Premier Sakskoburggotski unterzeichnete 2005 den Beitrittsvertrag zur Europäischen Union. Während seiner Amtszeit als Regierungschef forcierte Sakskoburggotski die Restituierung des vormaligen Zarenbesitzes, der unter anderem Schlösser und Ländereien im Werte von Hunderten Millionen US-Dollar umfaßte.
Von der FDP- zur CDU/CSU-Partnerpartei
Ende 2006 spaltete sich die Partei GERB (Bürger für eine europäische Entwicklung Bulgariens) von der NDSW ab. GERB-Parteigründer Bojko Borissow erklärte damals dem staatlichen deutschen Auslandssender Deutsche Welle, er sei »inspiriert von der bayerischen CSU« und sehe in Deutschland sein »Vorbild: in Sachen Mentalität, Genauigkeit, Disziplin, Ordnung, Verantwortung – in allem«. Die CSU-nahe Hanns-Seidel-Stiftung (HSS) half Borissow beim Aufbau eigener Parteistrukturen.
Der HSS-Büroleiter in Sofia hatte bereits einige Jahre zuvor gefordert: »Wir sollten ihn für uns gewinnen«; er hatte den damaligen Hauptsekretär im Innenministerium Borissow nach München eingeladen und umgarnt. Große Teile des GERB-Parteiprogramms sind wörtliche Übersetzungen des CSU-Parteiprogramms. Als es 2007 zu einem Streit der mit Hilfe der Hanns-Seidel-Stiftung aufgebauten GERB und der zu diesem Zeitpunkt schon seit anderthalb Jahrzehnten etablierten Mitte-Rechts-Partei SDS kam, strich die CDU-nahe Konrad-Adenauer-Stiftung der SDS Unterstützungsgelder. Unter Einfluß der Bundesrepublik wurde so das komplette Mitte-Rechts-Spektrum des kleinen südosteuropäischen Landes umstrukturiert.
Fest an der Seite Deutschlands
Im Jahr 2007 trat Bulgarien dann der Europäischen Union bei. Fortan hatten deutsche Konzerne einen noch leichteren Zugang auf dem bulgarischen Markt. Ein Jahr nach dem EU-Beitritt erwarb die Norddeutsche Affinerie AG die belgische Cumerio Group, der die Kupferraffinerie in Pirdop in Bulgarien gehörte. Der fusionierte Konzern mit dem Namen Aurubis AG ist heute der größte Kupferproduzent Europas. Kupfer – eine Schlüsselressource für die langsam wachsende Elektroautoindustrie – ist seit einigen Jahren Bulgariens wichtigster Exportartikel; das Land ist der viertgrößte Kupferexporteur Europas.
Vom Sommer 2009 bis zum Frühjahr 2021 regierte dann Borissows Partei mit nur wenigen Unterbrechungen. Dabei unterstützten die GERB-Partei und die von Borissow geführte Regierung, wie Beobachter konstatierten, die »deutschen Konservativen [...] in sämtlichen EU-Debatten« und sorgten vor allem für »ein ideales Investitionsumfeld für das deutsche Kapital«.
Konflikte in Südosteuropa
In den vergangenen beiden Jahren gerieten die langjährigen Schützlinge Berlins allerdings in Konflikt mit der Bundesregierung: Im November 2020 legte die damalige bulgarische Regierung unter Bojko Borissow ihr Veto gegen den EU-Beitritt des erst kurz zuvor von Mazedonien in Nordmazedonien umbenannten Landes ein. Borissow hatte damals mit der Parteienkoalition »Vereinigte Patrioten« regiert, zu der unter anderem Nationalisten und offene Faschisten gehörten. Die politisch stark rechtsorientierte Regierung Bulgariens erkannte Mazedonisch nicht als eine dem Bulgarischen gegenüber eigenständige Sprache an.
Kürzlich hob die zur Zeit in Sofia amtierende Übergangsregierung zwar das Veto auf, nachdem die Regierung Nordmazedoniens sich zu weitreichenden Zugeständnissen bereit erklärt hatte; so ist sie bereit, der vergleichsweise kleinen bulgarischsprachigen Minderheit im Land Verfassungsrang zu gewähren. Allerdings ist unklar, ob alle Vereinbarungen in Skopje umgesetzt werden können und der Konflikt mit Sofia nicht erneut entbrennt.
Dessen ungeachtet bleibt Bulgarien ein fester Bezugspunkt der deutschen Südosteuropapolitik. Schon im Jahr 1989 eröffnete ein Goethe-Institut in Sofia. 1993 kam die Begegnungsstätte des Landes Sachsen-Anhalt in Plovdiv, Bulgariens zweitgrößter Stadt, hinzu. 2008 eröffnete darüber hinaus die Deutsche Schule in Sofia.
Derzeit ist die Bundesrepublik Deutschland »wichtigster Wirtschaftspartner Bulgariens«, teilt das Auswärtige Amt in Berlin auf seiner Homepage mit. Deutschland nimmt demnach eine führende Rolle bei den ausländischen Direktinvestitionen ein; die Deutsch-Bulgarische Industrie- und Handelskammer ist die größte ausländische Wirtschaftskammer in dem Land.