»Es sind die Amerikaner und die NATO, die diesen Krieg ausgelöst haben«
Pierre de Gaulle, Enkel von Charles de Gaulle, über die intellektuelle Unehrlichkeit und Heuchelei der EU in der Ukraine-Krise und die Notwendigkeit guter Beziehungen zu Rußland
Irina Dubois, die verantwortliche Leiterin der Vereinigung »L’Association Dialogue Franco-Russe«, hat kurz vor Weihnachten mit Pierre de Gaulle, dem Enkel von General de Gaulle, ein Interview geführt. Das Thema des Interviews waren die internationalen Beziehungen zwischen Frankreich und der EU auf der einen Seite und Rußland auf der anderen Seite. Pierre de Gaulle hat keine Hemmungen, die Verlogenheit der USA und der NATO und der großen europäischen Medien öffentlich an den Pranger zu stellen und auf die wirtschaftlichen Probleme in der EU hinzuweisen, zu denen die westlichen Sanktionen gegen Rußland jetzt führen werden. Wir bringen Auszüge aus dem Interview, das von der Schweizer Zeitung »Zeit-Fragen« im Wortlaut veröffentlicht wurde.
Wir schreiben das Jahr 2022, und es ist ein beispielloses und sehr, sehr komplexes, schwieriges Jahr für die französisch-russischen Beziehungen. Es ist in gewisser Weise ein antirussisches Jahr. Warum glauben Sie, daß es für Frankreich so wichtig ist, sich nicht von Rußland zu trennen?
Natürlich denke ich, daß es für Frankreich äußerst wichtig ist, Beziehungen der gegenseitigen Verständigung und Zusammenarbeit mit Rußland aufrechtzuerhalten und zu fördern. Dies schon auf Grund der historischen Bande und der Schicksalsgemeinschaft, die uns verbindet, und auch weil die Aufrechterhaltung und Pflege einer guten Beziehung zu Rußland die Garantie für Stabilität und Wohlstand in Europa und der Welt ist.
Die Folgen der aktuellen Krise wirken sich leider auf Europa, die Welt und auch auf Frankreich aus. Da Rußland eines der Länder war, die zusammen mit Frankreich auf der Seite der Sieger gegen die Nazi-Besatzer standen, war mein Großvater stets bemüht, diese Beziehung zu Rußland immer, immer zu bewahren.
Ich denke, es liegt im Interesse Frankreichs, diese Politik fortzusetzen und dieses Gleichgewicht zu bewahren, weil es für die Stabilität Europas von entscheidender Bedeutung ist. Ich denke, die öffentliche Meinung beginnt, sich des perversen Spiels und der Lügen der Amerikaner und insbesondere der NATO bewußt zu werden, welche die Ukraine-Krise nutzen, um Europa zu destabilisieren.
Das mit Rußland verbündete Europa bildet einen sowohl politisch als auch wirtschaftlich, kulturell und sozial starken Block von etwa 500 Millionen Menschen. Die Amerikaner haben seit dem Vietnam-Krieg und seit den darauf folgenden Wirtschaftskrisen, die insbesondere mit der Aufgabe des Goldstandards für den Dollar zusammenhingen, immer versucht, durch Gewalt, durch List und durch ihre Politik diesen Verlust an Einfluß sowohl wirtschaftlich als auch politisch zu kompensieren, den Verlust an Einfluß des Dollars als einzige Handelswährung in der Welt wettzumachen. Und diese Politik geht weiter.
Eine Wirtschafts- und Finanzkrise, die absolut beispiellos ist
Ich empöre mich und ich protestiere gegen diese intellektuelle Unehrlichkeit in der Ukraine-Krise, denn es sind die Amerikaner und die NATO, die den Krieg ausgelöst haben. Als Beweis möchte ich die jüngsten Äußerungen von Frau Merkel anführen, die sagte, sie habe nie die Absicht gehabt, die Minsker Vereinbarungen umzusetzen – die Minsker Abkommen, die ausgehandelt und unterzeichnet wurden, um die Sicherheit, Integrität und den Respekt vor der russischsprachigen Bevölkerung im Donbass zu gewährleisten. Die Deutschen und die Franzosen haben sich für diese Abkommen für das Gleichgewicht, die Stabilität und den Schutz der Bevölkerung in dieser Region verbürgt.
Frau Merkel (…) hat somit alles getan, um der NATO zu erlauben, die Ukraine zu bewaffnen, hat alles getan, um die Grundlagen für diesen Konflikt zu legen, und ich finde das schlimm, weil Millionen von Menschen darunter leiden.
Indem sie diese ukrainische nationalistische Expansion zuließ, hat sie zugelassen, daß 16.000 bis 18.000 Menschen im Donbass bombardiert und getötet wurden. Sie hat zugelassen, daß diese nationalistischen ukrainischen Bevölkerungsgruppen die russische Kultur zunichtemachen, das Gefühl ihrer Zugehörigkeit zu Rußland auslöschen. Sie hat ihnen die Möglichkeit genommen, die eigene Sprache zu sprechen, und sie hat leider zugelassen, daß sich diese Verbrechen etablieren. Das heißt, man hat wissentlich zu diesem Krieg beigetragen und man hat wissentlich zu dieser Eskalation beigetragen.
Leider setzen die USA diese militärische Eskalation fort, unter der die ukrainische Bevölkerung als erste leidet, aber auch die übrige europäische Bevölkerung.
Das Ausmaß, die Anzahl und die Tiefe der Sanktionen zeigen, daß dies alles sehr lange im Voraus organisiert wurde und daß es sich in Wirklichkeit auch um einen Wirtschaftskrieg handelt, von dem die Amerikaner profitieren. Die Amerikaner verkaufen ihr Gas vier- bis siebenmal teurer an die Europäer, als sie es für ihr eigenes Land tun, und leider leidet in Europa jetzt jeder in seinem Alltag darunter, denn all dies führt zu einer Wirtschafts- und Finanzkrise, die absolut beispiellos ist.
Nun ja, man wird den Leuten sagen: »Das ist die Schuld der Russen!« Die Russen sind schuld, sehr gut … Aber die Russen verteidigen sich, denn es wurden 11.000 Sanktionen gegen sie verhängt, plus ein neuntes Sanktionspaket, das gestern beschlossen wurde. Es ist völlig legitim und normal, daß die Russen sich verteidigen. (…)
Deshalb ist für mich diese Notwendigkeit, dieser Imperativ, zu Rußland gute Beziehungen zu bewahren, nicht nur völlig legitim, sondern eine Pflicht für Europa und die Stabilität in der Welt und in Europa.
Die berühmte Formel von General de Gaulle »L’Europe des Nations« existiert nicht mehr. Wie kann man in der heutigen globalisierten Welt eine unabhängige internationale Beziehung aufbauen?
Was Europa betrifft, so war mein Großvater Charles de Gaulle tatsächlich ein Befürworter eines Europas der Nationen, das heißt, daß jedes Land im Hinblick auf eine Europäische Union sowohl wirtschaftlich als auch politisch mit den anderen zusammenarbeiten würde, aber selbstverständlich auch mit einer gewissen politischen Autonomie und Entscheidungsfreiheit.
Wir befinden uns in einem System, in dem es um eine Technokratie geht, die Richtlinien auferlegt, die in jedem Mitgliedstaat umgesetzt werden müssen, eine Technokratie, die leider extrem korrupt ist. Man spricht jetzt nicht mehr darüber, aber damals, als die Präsidentin der Europäischen Kommission ernannt wurde, hinterließ sie immerhin einen Schuldenberg von etwa 100 Millionen Euro an unerklärten Kosten für die Beschäftigung von externen Beratern und Beratungsfirmen aus der Zeit, als sie Deutschlands Verteidigungsministerin war.
Diese Dinge werden verschwiegen. Es wurde auch viel über die Verbindungen der Präsidentin der Europäischen Kommission mit der Pharmaindustrie gesprochen. Ich möchte daran erinnern, daß ihr Sohn für ein amerikanisches Biotechnologieunternehmen arbeitet und daß kürzlich, was die Verbindungen zwischen Frau von der Leyen und dem Vorstandsvorsitzenden von Pfizer betrifft, der Vorstandsvorsitzende von Pfizer zweimal aufgefordert wurde, als Zeuge vor der Europäischen Kommission auszusagen. Zweimal hat er sich geweigert. (…)
Sie, die nicht gewählt sind, haben keinen Respekt vor dem gegebenen Wort. Darin liegt leider das Übel. Die heutigen europäischen Führer! Ich würde mir wünschen, daß es da etwas mehr Transparenz gibt. (…)
Die Auswirkungen der Krise reichen viel weiter
Zu einem Zeitpunkt also, an dem wir uns in einer großen Krise befinden, einer politischen Krise, einer Wirtschaftskrise, die wiederum von den Amerikanern und der NATO perfekt gewollt und gezielt inszeniert wird, wünsche ich mir erneut mehr Transparenz und Ehrlichkeit im Dialog und vor allem die Einhaltung des gegebenen Wortes. Noch einmal: Wenn Deutschland, Frankreich und die OSZE, die sich für das Minsker Abkommen verbürgt haben, zu ihrem Wort gestanden hätten, wären wir nicht in der gegenwärtigen Situation.
Die Gesellschaft in Frankreich ist in Bezug auf den Konflikt in der Ukraine gespalten
Nun, dieser Konflikt hat Auswirkungen auf die Welt und auf Europa. Er wurde durch den Willen der Amerikaner und der NATO ausgelöst und er wird von der Europäischen Kommission weitgehend aufrechterhalten. Eine grundlegende und große Krise, die das tägliche Leben aller Menschen betrifft.
Ja, ich habe Aussagen von kleinen Handwerkern erhalten, kleinen Geschäftsleuten, von Menschen, die unter dieser Situation leiden, zum Beispiel von Bäckern. Etwa 50 Prozent von ihnen sind, sowohl in Frankreich als auch in Belgien und im übrigen Europa, bereits bankrott, weil ihre Stromrechnung von 1.500 Euro pro Monat auf 5.000 Euro gestiegen ist, was die Fortsetzung ihrer Tätigkeit völlig unmöglich macht und Hunderttausende Menschen in Europa in die Arbeitslosigkeit und in die Krise stürzen wird.
Diese Krise ist ernst, weil die Auswirkungen viel weiter reichen, was leider von Journalisten und von der intellektuellen Gemeinschaft verschwiegen wird, die die Menschen in prorussisch oder proamerikanisch oder pro-Putin einteilen oder was weiß ich für eine Diktatur, um jede Debatte und jeden Dialog zu vermeiden. Man muß wissen, daß weniger als 50 Prozent der Hilfe, oder genauer gesagt der Subventionen, die jetzt den Ukrainern gewährt werden, bei den Ukrainern wirklich ankommen. Man muß wissen, daß 50 Prozent der Waffen, die den Ukrainern gegeben werden, auf den internationalen Märkten weiterverkauft werden, um Terroristen zu versorgen, um politische Krisen, Konflikte und Revolutionen zu alimentieren.
Vor kurzem hat die ukrainische Regierung einen fast 1.000 Seiten umfassenden Katalog mit Waffen veröffentlicht, die nach Südamerika, Afrika und in die arabischen Länder verkauft werden sollen und die den Terrorismus auf der ganzen Welt anheizen werden. Es handelt sich dabei um schwere und leichte Waffen.
Die Ukraine ist leider eines der korruptesten Länder der Welt. Ich kritisiere keinesfalls die Ukrainer, sondern das Regime, das 2014 von den Amerikanern mit diesem berühmt-berüchtigten Staatsstreich eingesetzt wurde, bei dem Victoria Nuland, die ukrainischer Abstammung ist, ebenso wie dieser Biden, sich mit den Worten »Fuck the EU!« äußerte. Verzeihen Sie mir, ich zitiere sie, ich zitiere sie wörtlich, das heißt, daß sie unter Mißachtung jeglicher Rücksichtnahme, selbst auf die Ukrainer, eine Diktatur errichtet hat.
Ich protestiere dagegen und bin empört, daß in Frankreich und Europa ein Bataillon mit dem Namen »Asow« verherrlicht wird, das die gleichen Embleme wie die SS-Division »Das Reich« verwendet!
Meine Eltern haben gegen den Nationalsozialismus gekämpft, meine Großeltern wurden sogar aus Gründen des Widerstands deportiert, und für mich ist es absolut skandalös, daß man heute Leute fördert, die im Donbass Massaker, Mord und Diskriminierung an der Bevölkerung verübt haben.
Bereits 2019 gab es Aussagen des engsten Beraters des späteren Präsidenten Selenski, Arestowitsch – er sagte das in einem Interview im Februar 2019 –, daß man unbedingt einen Krieg gegen Rußland führen müsse, daß er ihn wolle und daß sie auf jeden Fall Subventionen, Waffen, Unterstützung aus Europa und der Europäischen Union, Unterstützung von der NATO erhalten würden und daß die Ukraine nicht verlieren könne.
Die Amerikaner haben die ukrainische Bevölkerung und die ukrainische Regierung übrigens völlig getäuscht, was den meiner Meinung nach völlig unrealistischen Sieg der Ukraine in diesem Krieg betrifft, denn der große Verlierer dieses Krieges ist ohnehin die ukrainische Bevölkerung selbst und als Folgewirkung auch Europa mit der ganzen Krise, in die es sich durch den Willen der Politiker hineinmanövriert hat.