Ausland23. Oktober 2021

»Präsidenten der Ultrareichen«

Frankreich: Von Macrons seit 2018 erzwungener »Steuerreform« profitierte vor allem das Großkapital

von Hansgeorg Hermann

Der französische Staatschef Emmanuel Macron hat in den fünf Jahren seiner Präsidentschaft dafür gesorgt, daß die Reichen ihre zum Teil monströsen Vermögen beträchtlich vermehren konnten. Die breite Masse der 67 Millionen Franzosen, vor allem aber die Ärmsten unter ihnen, ging bei der Verteilung der durch seine »Steuerreform« »gewonnenen« Milliarden an Haushaltsgeld nicht nur weitgehend leer aus, sie mußte sogar den Verlust von »Lebensqualität« hinnehmen.

Die Umschichtung von unten nach oben belegt nicht zuletzt der dritte Bericht der Kommission France Stratégie, der in der vergangenen Woche veröffentlicht wurde. Das Zahlenwerk des von der Regierung selbst eingesetzten Gremiums läßt den Schluß zu, daß Macron sein Mandat im kommenden April als ein »Präsident der Ultrareichen« – wie das Soziologenehepaar Michel Pinçon und Monique Pinçon-Charlot ihn bereits im Frühjahr 2019 nach zwei Jahren Amtszeit im Titel seines Buches genannt hat – beenden wird.

Zur Erinnerung: Im Januar 2018 schaffte Macron mit seiner absoluten Mehrheit in der Nationalversammlung die sich bis dahin am Gesamtvermögen der reicheren Haushalte orientierende »Solidaritätssteuer« (Impôt sur la fortune, ISF) ab und ersetzte sie durch die »Steuer auf Immobilienbesitz«. Befreit von Abgaben wurde so der »mobile« Reichtum – Aktien, Obligationen, Gold, diverse bewegliche Vermögen. Mit der gleichzeitigen Beschränkung der Immobilienbesteuerung auf eine Pauschale von 30 Prozent (PFU) schuf der Präsident einen »fiskalen Schutzschild« für die reichen und ultrareichen Haushalte des Landes.

Die Kommission France Stratégie wurde von Macron und seinen Beratern vor allem in der Absicht besetzt, positive Ergebnisse zur »Steuerreform« zu liefern. Wie das Pariser Internetportal Mediapart anmerkte, saßen in diesem Gremium »Mainstreamökonomen«, die von den angeblich zu erwartenden positiven Auswirkungen der Änderung von Anfang an überzeugt waren, Deputierte von Macrons Mehrheitspartei La République en Marche (LREM), Repräsentanten des Patronatsverbandes Medef, Abgesandte der sogenannten Reformgewerkschaften CFTC und CFDT – allesamt Unterstützer der »Macronie« –, und Funktionäre der Banque de France.

Erstaunlich ist das Fazit des dem Staatschef freundlich gesinnten Klubs: »Die Beobachtung der großen ökonomischen Veränderlichen – Wachstum, Investitionen, Fluß der Finanzplazierungen – vor und nach der Reform reichte nicht aus, um Schlußfolgerungen zum tatsächlichen Effekt dieser Reformen zu ziehen.« Französische Medien wie die Tageszeitung »Libération«, Mediapart, »Le Monde« und sogar die Wirtschaftszeitung »Les Echos« taten das in der vergangenen Woche an des Klubs Stelle.

In einem beachteten Editorial beschrieb Dov Alfon, Redaktionsdirektor bei »Libération«, die Bemühungen seiner Zeitung, den in weiten Teilen offenbar absichtlich in verwirrenden Satzkonstruktionen daherkommenden Bericht der Kommission zu entwirren: »Nach unserem vorsichtigen Kalkül gingen lediglich 6,5 Prozent der durch (Macrons) Steuermaßnahmen erwirtschafteten ›Gewinne‹ an die bescheidenen, die armen und ärmsten Haushalte, während die vermögendsten 22,1 Prozent einstrichen. Macrons Mandat hat demnach den Reichsten 3,4-mal mehr eingebracht als den Ärmsten.«

Macrons 2018 in der PFU-Steuer verankerter »Schutzschild« für die großen Vermögen, der den Unternehmen angeblich finanziellen Spielraum für Reinvestitionen in den eigenen Betrieb sichern sollte, zeigte in den drei Jahren danach einen völlig anderen Effekt. Wie France Stratégie bedauernd berichtet, hatte er »keinerlei Wirkung auf die Investitionen und Gehälter der Unternehmen«. Das mit Hilfe des präsidialen Steuerpakets eingesparte, für Betriebsinvestitionen gedachte Geld landete anderswo: Bereits im selben Jahr 2018 wuchsen die von den Konzernen ausgeschütteten Dividenden von durchschnittlich 100.000 auf eine Million Euro, die Investitionen in Immobilien erhöhten sich um 150.000 Euro.

Macrons fiskaler Kraftakt favorisierte im Ergebnis »den Konsum von Luxusgütern« und »unproduktive Investitionen«. Den »positiven Effekt« der Änderung, den die Kommission eigentlich am Dienstag vergangener Woche verkünden sollte, fanden die Experten von France Stratégie an anderer Stelle: Seit der Verabschiedung der »Reform« im Januar 2018 erhöhten sich die Dividenden der in Frankreich angesiedelten Großbetriebe in einem einzigen Jahr um neun Milliarden auf insgesamt 23 Milliarden Euro – ein Wachstum um 64 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Im folgenden Jahr 2019 wuchs der Dividendengewinn noch einmal um eine Milliarde Euro, bevor er sich auf diesem hohen Niveau »stabilisierte«, wie es im Kommissionsbericht heißt.

Wer strich das Geld ein? Auch darüber gaben die Finanzkommissare des Präsidenten Auskunft: 45 Prozent des Dividendenzuwachses in Höhe von neun Milliarden Euro holten sich ungefähr 5.000 Haushalte, deren Dividendengewinn auf mehr als 100.000 Euro pro Jahr stieg. 13 Prozent, umgerechnet also 1,2 Milliarden Euro, gingen an lediglich 310 Haushalte, sie heimsten eine Dividende von mehr als einer Million Euro pro Jahr ein.

Macrons auf 30 Prozent beschränkte »Flat tax« für die reichen und reichsten Haushalte beziehungsweise Unternehmen vertiefte die Kluft zwischen den Gesellschaftsschichten erheblich. Eine von »Les Echos« in Auftrag gegebene Umfrage des Instituts Opinion Way zeigte im September ein Meinungsbild. Demnach sahen 56 Prozent der Bevölkerung ihre Kaufkraft »verkleinert«, für erneut 56 Prozent der als »Classe populaire« bezeichneten Bevölkerungsgruppe hatte die Steuerpolitik des Präsidenten eine »negative« Wirkung. Noch schlechter sieht es bei den mittleren Gesellschaftsschichten aus – dort halten 64 Prozent die »Steuerreform« für verfehlt.