»Grundtorheit der Epoche«
In der von USA, NATO und EU gehätschelten neuen Ukraine haben Anhänger faschistischer Parteien am vergangenen Sonntag den Geburtstag des Nazikollaborateurs und Terroristen Stepan Bandera mit einem Fackelzug durch Kiew begangen.
Bandera hatte die »Organisation Ukrainischer Nationalisten« (OUN) mitgegründet, als deren bewaffneter Arm im Oktober 1942 die »Ukrainische Aufstandsarmee« (UPA) aufgestellt wurde. OUN und UPA kämpften im Zweiten Weltkrieg an der Seite der Nazi-Wehrmacht gegen die Sowjetarmee. Die Kollaborateure sind verantwortlich für Massaker an der polnischen Zivilbevölkerung und an ukrainischen Sowjetbürgern, darunter viele Juden.
Gleichzeitig gerieren sich die Machthaber in Kiew als moderne Bilderstürmer. Nach Angaben des »staatlichen Instituts für nationales Gedenken« wurden in der Ukraine im vergangenen Jahr 1.320 Denkmäler zu Ehren des Revolutionärs und Gründers der Sowjetunion, Lenin, geschleift. 51.500 Straßen hätten neue Namen bekommen, die nicht mehr an die »kommunistische Vergangenheit« erinnern, wurde in Kiew mitgeteilt.
Unter dem Deckmantel der »Ukrainisierung« will Präsident Poroschenko das Gedenken an die sowjetische Vergangenheit und die historischen und kulturellen Verbindungen zum Nachbarland Rußland tilgen. Gemäß eines von ihm am 15. Mai 2015 unterzeichneten Gesetzes wurde in Kiew die Straße Moskauer Prospekt in Stepan-Bandera-Prospekt umbenannt.
Doch es gibt auch vielerorts in der Ukraine Widerstand gegen den von Kiew verordneten Antikommunismus. So wehren sich die Bewohner von Dnipropetrowsk, der viertgrößten Stadt des Landes, gegen deren im Mai 2016 erfolgte Umbenennung in Dnipro. Das Kiewer Parlament hatte ein Problem mit dem Namen, weil er sich auf Grigori Petrowski, den Vorsitzenden des Obersten Sowjets der Ukrainischen Sozialistischen Sowjetrepublik von 1919 bis 1938, bezieht. Die Meinung der Bewohner der Millionenstadt wurde von den »Volksvertretern« in Kiew nicht eingeholt.
Offenbar wissen Poroschenko und Konsorten nicht, daß Kommunismus seit eh und je, zum Beispiel im frühen Christentum, eine Hoffnung und Perspektive menschenfreundlicher Denker gewesen ist. Man kann es auch bei Albert Einstein lesen. Diese humanistische Tradition darf nicht unter antikommunistischer Propaganda begraben werden.
Auch in hiesigen kapitalistischen Medien ist vom Kommunismus nur ein Zerrbild, ein Schreckgespenst übriggeblieben. Wer widerspricht noch? Die Jugend hat kaum noch Chancen, etwas anderes zu erfahren. Jeder Tor glaubt zu wissen, daß der Kommunismus die Grundtorheit des 20. Jahrhunderts gewesen und jetzt ein für allemal überwunden sei – Thomas Mann hatte den Antikommunismus hingegen die »Grundtorheit der Epoche« genannt.
Als Marx einmal nach dem letztendlichen Ziel kommunistischer Politik befragt wurde, nannte er die Versöhnung des Menschen mit sich selbst und mit der Natur. Folgt man dieser knappen Definition, so liegt es nahe, daß man als wirklicher Sozialist, bürgerlicher Humanist, aufrechter Demokrat oder konsequenter Umweltschützer nicht Kommunist zu sein braucht, aber eins auf keinen Fall sein kann: Antikommunist.
Oliver Wagner