Ausland17. September 2021

Gemeinsam für Frieden in Syrien

Der syrische Präsident zu Konsultationen in Moskau. Putin und Assad bekräftigen weitere Zusammenarbeit

von Karin Leukefeld

Der syrische Präsident Baschar al-Assad traf sich am Montag und Dienstag in Moskau mit Präsident Wladimir Putin. Der russische Präsident habe Assad zu seiner Wiederwahl gratuliert, hieß es in einer Mitschrift des Kreml vom öffentlichen Teil der Begegnung.

Das Ergebnis der Wahl zeige, daß die Menschen Assad vertrauten und »trotz aller Schwierigkeiten und Tragödien der vergangenen Jahre den Prozeß der Genesung und der Rückkehr zum normalen Leben« mit ihm verbänden, sagte Putin. Er hoffe, daß auch der »Dialog mit Ihren politischen Gegnern« weitergehe, so Putin weiter. Assad habe bereits viel unternommen, doch »nur durch die Konsolidierung aller Kräfte in Syrien« werde das Land in der Lage sein, »auf eigenen Füßen zu stehen und eine schrittweise Entwicklung einzuleiten, um voranzukommen«.

Präsenz ausländischer Truppen ohne Mandat verhindert Stabilisierung

In »gemeinsamen Anstrengungen« kontrolliere die Regierung Syriens wieder 90 Prozent des Landes. Ein »Hauptproblem« sei, daß »ohne Beschluß der UNO« und ohne die Zustimmung der syrischen Regierung »ausländische Streitkräfte in einigen Teilen des Landes präsent sind, was eindeutig gegen das Völkerrecht verstößt«, so Putin. Die Präsenz der ausländischen Truppen hindere Damaskus daran, das Land zu stabilisieren und den »Wiederaufbau in dem Tempo voranzutreiben, das möglich wäre, wenn das gesamte Gebiet unter der Kontrolle einer rechtmäßigen Regierung stünde«.

Putin nannte namentlich weder die militärischen Einheiten der Türkei noch der USA und anderer NATO-Staaten, die im Süden, Nordwesten, Norden und Nordosten des Landes – jeweils im Bündnis mit lokalen Regierungsgegnern – Landstriche besetzt halten. Im Nordosten Syriens wird der Zugang zu wichtigen Ressourcen des Landes wie Öl, Gas, Weizen, Baumwolle und Wasser verhindert, was im ganzen Land zu enormer Knappheit vor allem an Treibstoff führt. Langjährige Kämpfe, Angriffe der USA-Armee und illegale Ausbeutung haben auf den Ölfeldern im Nordosten und Osten Syriens zu einer massiven Umweltverschmutzung geführt.

Geflüchtete Syrer kehrten inzwischen »in die befreiten Gebiete zurück«, sagte Putin weiter. Er habe selber gesehen, wie aktiv die Menschen ihre Häuser wieder aufbauten und »daran arbeiten, zu einem friedlichen Leben im wahrsten Sinne des Wortes zurückzukehren«. Putin erwähnte die humanitäre Hilfe einschließlich der Lieferung der Covid-19-Impfstoffe »Sputnik V« und »Sputnik Lite«, die Rußland an Syrien geliefert habe. Gut sei die Entwicklung der Handels- und Wirtschaftsbeziehungen zwischen beiden Ländern, sagte der russische Präsident. Der Handelsumsatz sei in den ersten sechs Monaten 2021 um das 3,5-fache gestiegen.

Politische Prozesse stagnieren

Der syrische Präsident bedankte sich für die Einladung, in Moskau über »gemeinsame Ziele« und den »Kampf gegen den internationalen Terrorismus« zu sprechen. Die Armeen Syriens und Rußlands hätten »einen großen Beitrag zum Schutz der gesamten Menschheit vor diesem Übel geleistet«. Assad betonte die Bedeutung der politischen Prozesse von Astana und Sotschi, die in Syrien zu einer erheblichen Normalisierung des Lebens beigetragen hätten. Allerdings seien diese Prozesse in den letzten drei Jahren zum Stillstand gekommen, was er bedauere. Ohne Namen zu nennen erwähnte Assad »bestimmte Staaten, die einen destruktiven Einfluß auf die Möglichkeit politischer Prozesse haben«. Für den Stillstand gebe es viele Faktoren, und die Regierung tue ihr Bestes, um die dringenden Probleme zu lösen. Assad kritisierte deutlich die Sanktionen »einiger Staaten«, die sich »menschenfeindlich, staatsfeindlich und rechtswidrig« gegen das syrische Volk richteten.

Einseitige wirtschaftliche Strafmaßnahmen gegen Syrien wurden 2011 von der EU verhängt und seitdem jährlich verschärft und ausgeweitet. Zu den von den USA verhängten Finanzsanktionen gegen Syrien kam 2020 das so genannte »Caesar-Gesetz« hinzu. Das blockiert die Möglichkeiten Syriens, international Handel zu treiben zusätzlich damit, daß Einzelpersonen, Unternehmen, Staaten, Institutionen mit USA-Sanktionen bedroht werden, sollten sie Geschäftsbeziehungen mit Syrien aufnehmen.

Syrien beteilige sich »unter den gegenwärtigen Bedingungen und Umständen« an den politischen Prozessen und Maßnahmen, wie der Aufnahme eines politischen Dialogs mit den oppositionellen Gruppen, so Assad in der vom Kreml protokollierten Erklärung. Dabei kooperiere Syrien mit Rußland auch im Rahmen von Arbeitsgruppen.

Assad dankte Putin für die humanitäre Hilfe, die Syrer in den vergangenen Jahren und weiterhin aus Rußland, vom russischen Volk und einzelnen Bürgern erhalten habe. Ausdrücklich wolle er dem russischen Außenministerium für »die klare Politik danken, die es auf der internationalen Bühne verfolgt«. Rußland verteidige die legitimen und anerkannten Grundsätze und Normen des Völkerrechts, die für jedes Volk unveräußerlich seien: »Das Recht auf Selbstbestimmung und das Recht, über sein Schicksal nach eigenem Ermessen und auf der Basis der nationalen Gesetzgebung zu entscheiden.«

Gespräche hinter verschlossenen Türen

Einzelheiten über das Gespräch hinter verschlossenen Türen wurden nicht bekannt. Laut syrischen und russischen Medien sei auch über die Lage in Afghanistan sei gesprochen worden. Vermutlich ging es dabei auch um eine Einschätzung des Rückzugs von USA- und NATO-Truppen aus dem Land und möglichen Auswirkungen auf Syrien und den Mittleren Osten.

Auf der Tagesordnung dürfte zudem die Fortsetzung der Syrien-Gespräche in Genf unter dem Dach der UNO gestanden haben, die seit langem stocken. Die vom Ausland unterstützte Delegation der Opposition und die Delegation der syrischen Regierung sollen sich dort entsprechend der UNO-Sicherheitsratsresolution 2254 aus dem Jahr 2012 auf einen politischen Übergangsprozeß einigen. Allerdings hat sich die Lage in Syrien im Laufe des Krieges erheblich verändert. Die 2012 politisch, finanziell, medial und militärisch geförderte syrische Opposition ist erheblich geschwächt und zerfallen. Die Interessen der arabischen Golfstaaten, die die syrischen Regierungsgegner unterstützten, haben sich geändert. Sie sehen das massive Vordrängen der Türkei nach Syrien und in den Irak als Bedrohung des arabischen Kernlandes und suchen politisch und wirtschaftlich wieder eine Annäherung an Syrien.

Aufständische in Deraa müssen Waffen abgeben

Die Entwicklung im Südwesten Syriens, in Deraa al-Balad, dem alten Teil der Provinzstadt Deraa, hat den bewaffneten Regierungsgegnern eine neue Niederlage zugefügt. Nach einem Wiederaufflammen der Kämpfe zwischen Regierungsgegnern und der syrischen Armee im Sommer 2021 wurde von Rußland ein Waffenstillstand vermittelt, der die Abgabe der Waffen der Aufständischen vorsieht. Vor wenigen Tagen konnten die syrischen Truppen in das Gebiet einmarschieren.

Die südwestliche Provinz Deraa und das Jarmuk-Tal grenzen an Jordanien und den von Israel besetzten Golan. Das Gebiet ist nun unter syrisch-russischer Kontrolle. Beobachter der Lage berichten zudem von einer iranischen Militärpräsenz in dem Gebiet. Dabei dürfte es sich um iranische Militärberater handeln, die u.a. die Eliteeinheit der 4. Brigade der syrischen Armee und Milizen unterstützen. Für Israel, das seit Jahren völkerrechtswidrig Militärstellungen in Syrien bombardiert, weil dort angeblich iranische Waffen und Streitkräfte stationiert seien, stellt die Entwicklung eine Herausforderung dar.