Ausland29. März 2024

Den Wahnsinn beenden

Die Neuauflage der Maxime »Lieber tot als rot«

von Arnold Schölzel

Er habe, sagte Bundeswehr-General a.D. Harald Kujat am 27. Februar im »Deutschlandfunk«, seit Monaten die Diskussion befürchtet: »Je näher die militärische Niederlage der Ukraine rückt, desto mehr taucht auch die Frage auf – sollen NATO-Truppen unseren Waffen, westlichen Waffen, in die Ukraine folgen oder nicht?« Er wisse von mindestens drei Ländern, in denen das ernsthaft diskutiert werde. Rußland wisse das auch und treffe operative Vorbereitungen. Bei der »Taurus«-Lieferung gehe es nicht, wie deren Befürworter behaupteten, um Unterbindung der russischen Armeelogistik, sondern »ausschließlich um strategische Ziele«.

Trotz solcher Argumente steigert sich auch in der Bundesrepublik Deutschland die Rhetorik der Befürworter von Handlungen, die unmittelbar die Existenz Rußlands in Frage stellen können. Sie finden sich in der SPD, bei den Grünen, in der FDP und der CDU/CSU. Was reitet sie?

Die wichtigste Antwort lautet: Sie sind der Auffassung, daß die Rolle der USA und ihrer Verbündeten als »einziger Weltmacht« und vor allem als Weltpolizist mit allen Mitteln – einschließlich dem Risiko eines Atomkrieges – aufrechterhalten werden muß. Es ist die Neuauflage der Maxime »Lieber tot als rot«.

Sie begleitete als eine Art Staatsideologie die Geschichte der Bundesrepublik Deutschland seit ihrer Gründung 1949. Erst das Erreichen des strategischen Gleichgewichts mit den USA durch die Sowjetunion bei Atomwaffen in den 60er Jahren ermöglichte das, was als »Entspannungspolitik« bezeichnet wird. Bei dem Versuch, die Sowjetunion und ihre Bündnispartner totzurüsten, blieb es – und es gelang. Gleichzeitig »Kanonen und Butter« zu produzieren, wie es jetzt erneut etwa von Ifo-Chef Clemens Fuest heißt, gelang nicht. China entzog sich dem Wettrüsten und überlebte.

Mit Chinas Aufstieg und dem »Pivot to Asia« von USA-Präsident Obama im Jahr 2011, der Verlagerung des gigantischen USA-Militärapparats nach Asien und in den Pazifik, sind »die Gefahren eines großen und sogar weltweiten Krieges wieder in den Mittelpunkt der politischen und kulturellen Debatten gerückt«, schrieb Domenico Losurdo in seinem 2022 posthum auf Deutsch erschienenen Buch »Eine Welt ohne Krieg«.

Die Forderungen nach Waffen, die das Risiko eines Atomkrieges erhöhen können, sind ein Teil dieser Diskussion: Es geht den Befürwortern um den Erhalt der weltweiten USA-Vorherrschaft, um die Aufrechterhaltung einer unipolaren Welt. Es scheint so, als ob Washington den Verbündeten auf dem europäischen Schauplatz weitgehend freie Hand läßt – auch für unverantwortliche Debatten.

Die US-und NATO-Kriegsideologie brandmarkt dabei Rußland und China als Feinde der Demokratie und des Friedens – ein Muster, das schon die USA-Politik im Ersten Weltkrieg analog verwendete.

Der Potsdamer Militärhistoriker Lothar Schröter drückte es am 11. Februar in einem Gespräch mit der Tageszeitung »junge Welt« so aus: »Es geht um die Verewigung der Unipolarität – der Hegemonie des Westens – gegen die Multipolarität, wonach die Mehrheit der globalen Staatengemeinschaft strebt. Der Westen aber kann sich nur durchsetzen, wenn in weiterer Zukunft China bezwungen wird. Dazu aber muß zuerst Rußland ausgeschaltet werden, um sich seine unermeßlichen Ressourcen anzueignen. Und zwar bevor Rußland gänzlich festen wirtschaftlichen Boden unter die Füße bekommt. Einen Zwei-Fronten-Krieg kann der Westen niemals gewinnen, politisch nicht und militärisch erst recht nicht, zumal bei Letzterem auch der eigene Untergang droht. Das erste blutige Schlachtfeld dafür manifestiert sich im NATO-Ukraine-Krieg.«

Mehr denn je seit Beginn dieses Krieges durch Kiew 2014 ist es nötig, ihn zu beenden.