Die »Grüne Pest« erobert Frankreichs Strände
Algenwachstum wird durch übermäßige Düngung verursacht
An einem Strand der Bretagne ist dieser Tage ein Pferd tot umgefallen und sein bewußtloser Reiter konnte nur in letzter Minute durch den Notarzt gerettet werden. Die Ursache für den spektakulären Unfall war schnell gefunden: die Algen, die im ufernahen Wasser wuchern und tödliche Gase produzieren.
Die Anwohner nennen sie »Meeres-Salat«, während die Wissenschaftler zwischen Ulva armoricana und Ulva rotundata unterscheiden. Diese grünen Algen beobachtet man seit Anfang der 70er Jahre an der Küste der Bretagne und ihre Ausbreitung nimmt stetig zu. In diesem Sommer verseuchen sie in einem bisher noch nie beobachteten Maße Frankreichs Strände, sehr zum Ärger der Urlauber und zur Besorgnis der Einwohner.
»In diesem Jahr haben wir allein bis zum 5. August schon 16.000 Tonnen aus dem Wasser gefischt und auf die Müllhalde gefahren, während es im ganzen Sommer 2008 ‚nur’ 7.000 Tonnen waren«, sagt Yvette Doré, Bürgermeisterin der Gemeinde Hillion im nordbretonischen Departement Côtes-d’Armor. »Das wird für uns zu einer immer schwereren finanziellen Bürde.« Doch man habe nicht die Wahl, wenn man den Tourismus retten und die Strände nicht den Algen überlassen will, die das Baden unmöglich machen und einen Geruch von faulen Eiern verbreiten.
Als im vergangen Jahr am Strand von Hillion zwei Hunde verendeten, hat die Präfektur lange einen Zusammenhang zu den Gasen der Algen angezweifelt. Dagegen ist die Analyse der Ärzte des Krankenhauses in Lannion, die jetzt den verunglückten Reiter vom Strand von Saint-Michel-en-Grêve untersucht haben, eindeutig: seine Ohnmacht – und damit höchstwahrscheinlich auch der Tod seines Pferdes – war auf die tödlich wirkenden Ausdünstungen der Algen zurückzuführen.
In diesem Zusammenhang erinnert man sich an den rätselhaften Tod eines Joggers 1989 am selben Strand, doch seinerzeit dachte niemand an einen Zusammenhang mit den Algen. 1999 fiel ein Kommunalangestellter in Saint-Michel ins Koma, nachdem er beim stundenlangen Bergen der Algen mittels eines Krans zuviel giftige Gase eingeatmet hatte. Seitdem hat die Präfektur für diese Arbeiten das Tragen von Gasmasken angeordnet.
Die Algen wachsen besonders üppig in Buchten und Boddengewässern, die vor heftigem Wellenschlag geschützt sind und in die kleinen Flüsse oder Bäche münden, die ihnen Nahrung zuführen. Die Algen brauchen für ihr Wachstum Sonne, Ammoniak und Stickstoff. Sonne ist meist reichlich vorhanden und auch an Ammoniak und Stickstoff mangelt es an der Küste der Bretagne nicht, denn hier werden mehr als anderswo im Lande die reichlich auf die Äcker gestreuten und dann durch den Regen in die Gewässer geschwemmten Kunstdünger in Richtung Küste befördert.
Von allen Regionen Frankreichs hat die Bretagne die mit Abstand schlechtesten Werte hinsichtlich der Schadstoffbelastung der Binnengewässer. Selbst die gesetzlichen Minimalnormen werden hier nicht eingehalten, doch die Behörden verschließen die Augen und kuschen vor der mächtigen Lobby der hier sehr zahlreichen riesigen Schweinemastbetriebe und der intensiven Landwirtschaft, die diese Betriebe mit Futter versorgt. Wissenschaftler beobachten mit Sorge die fortschreitende Ausbreitung der Algen nicht nur in der Bretagne und an der französischen Atlantikküste, sondern auch an den Mittelmeerstränden, wenngleich hier andere, nicht weniger lästige und gefährliche Arten auftreten.
Wenn nicht schnellstens gehandelt wird, dürfte bis 2015 jeder zehnte Strand deswegen gesperrt sein, schätzen sie ein. »Solange nicht konsequente Umweltschutzmaßnahmen in der Landwirtschaft durchgesetzt werden, werden sich die Algen immer weiter ausbreiten«, ist Michel Guillemot von der Vereinigung »Stop der Grünen Pest« überzeugt. Er merkt bitter an, daß sich die Regierung für das Problem überhaupt nicht zu interessieren scheint und sich bisher noch kein einziger prominenter Politiker vor Ort einen Eindruck von der katastrophalen Situation verschafft hat. »Wenn hier ein Tanker stranden und ein Ölpest drohen würde, wären sie in wenigen Stunden alle da!«
Ralf Klingsieck, Paris