Leitartikel19. November 2024

Ein dezentes Leben würde mit einer Erhöhung des Mindestlohnes um 22 Prozent netto möglich

von Ali Ruckert

Vergangenen Freitag stimmte der Ministerrat einem Gesetzesvorschlag zu, mit dem der unqualifizierte gesetzliche Mindestlohn, das soziale Mindesteinkommen Revis und das Schwerbehinderteneinkommen zum 1. Januar 2025 um 2,6 Prozent steigen werden.

Eigentlich handelt es sich nicht um eine Erhöhung, sondern um eine Anpassung des Mindestlohns an die Entwicklung des Durchschnittslohns der vorangegangenen zwei Jahre.

Die Anpassung wird es den Zehntausenden von Mindestlohnbeziehern, die ihre Arbeitskraft für den gesetzlichen Mindestpreis verkaufen müssen, kaum ermöglichen, im kommenden Jahr große Sprünge zu machen, um so mehr damit zu rechnen ist, dass die Inflation die Anpassung schnell auffressen wird, wozu die Erhöhung der Energiepreise und der Lebensmittel besonders beitragen werden.

Es ist kein Geheimnis, dass der gesetzliche Mindestlohn seit langem strukturell hätte erhöht werden müssen, was auf sozialer Ebene etwa vom OGBL und auf politischer Ebene von der KPL gefordert wurde, die immer wieder darauf aufmerksam machte, dass eine solche Erhöhung systematisch an wirtschaftlichem und politischem Widerstand scheiterte.

Dazu zählt, dass bereits vor 20 und mehr Jahren in der nationalen Tripartite Lohnmäßigungen beschlossen wurden, so dass die Durchschnittlöhne weniger schnell stiegen, was sich auch auf den Mindestlohn auswirkte. Das wurde damit fortgesetzt, dass im Laufe der vergangenen zehn Jahre mehrere Indexmanipulationen (nicht nur) die Einkommen von Beziehern von Mindestlöhnen arg strapazierten.

Trotz dieser Manipulation stimmten die Patronatsvereinigungen bei jeder Anpassung des Mindestlohnes an die durchschnittliche Lohnentwicklung immer wieder lautes Geheul an und taten so, als würden sie am Hungertuch nagen. Aber das genügte in der Vergangenheit oft, um von den aufeinanderfolgenden Regierungen von CSV, DP, LSAP und Grünen höhere Subventionen und Kompensationen zu bekommen und zu verhindern, dass es zu strukturellen Erhöhungen des Mindestlohnes kam.

Zu den Folgen dieses Klassenkampfes des Kapitals und der Regierung gegen die Lohnabhängigen gehörte, dass die Bezieher von Mindestlöhnen zunehmend Schwierigkeiten hatten, die beiden Enden am Monatsende zusammenzubekommen und in die Armut rutschten. Da ist es nicht verwunderlich, dass inzwischen 10 Prozent aller Lohnabhängigen hierzulande offiziell arm sind, obwohl sie einer geregelten Arbeit nachgehen.

Die Situation hat sich inzwischen dramatisch verschlechtert. Auch mit der Anpassung um 2,6 Prozent wird der Mindestlohn unter 60 Prozent des Medianlohns bleiben. Viel schlimmer ist, dass der gesetzliche Mindestlohn sich inzwischen immer weiter von den Vorgaben des nationalen Instituts für Statistik und Wirtschaftsstudien Statec entfernt, die festhielten, dass es mit dem Mindestlohn möglich sein müsse, ein dezentes Leben zu führen.

Um das zu erreichen, müsste der gesetzliche Mindestlohn, wie die Salariatskammer kürzlich in einer Mitteilung erinnerte, netto um 22 Prozent steigen, was eine Erhöhung des Mindestlohnes um 32,7 Prozent brutto voraussetzt.

Wie für andere politischen und sozialen Forderungen gilt auch für eine strukturelle Erhöhung des Mindestlohns, dass sie nur durchzusetzen sein wird, wenn sich in den Betrieben und in der Gesellschaft eine starke Bewegung für deren Verwirklichung entwickelt. Es bleibt also noch viel zu tun!