Ausland22. Januar 2010

Die Ursache der Armut

Womit kann Haiti wirklich geholfen werden?

Die Anfälligkeit Haitis für Naturkatastrophen, sein Mangel an Lebensmitteln, seine Armut, das Fehlen von Infrastruktur – all das ist kein Zufall. Zu sagen, es handle sich um das ärmste Land in der westlichen Hemi­sphäre, reicht einfach nicht aus. Haiti wurde arm gemacht – durch Frankreich, die USA, Großbritannien, weitere westliche Mächte, den Internationalen Währungsfonds und die Weltbank.

Gegenwärtig, unter dem Vorwand der humanitären Hilfe, betreibt der IWF die gleiche Politik, die Haiti schon vor dem Erdbeben zu einem Notstandsgebiet gemacht hatte. Mit großem Getöse kündigte der IWF letzte Woche einen neuen Kredit über 100 Millionen US-Dollar an. So ein Kredit ist zwar eine gute Sache, denn Haiti steckt in einer absoluten Notlage und braucht dringend Geld. Allerdings soll der Kredit über den erweiterten Kreditrahmen des IWF kommen, bei dem Haiti schon mit 165 Millionen in der Kreide steht. Die Kredite sind an Bedingungen gebunden, wie zum Beispiel die Erhöhung der Strompreise oder die Ablehnung von Gehaltsverbesserungen im öffentlichen Sektor. Mit anderen Worten: der IWF nutzt auch die Krise und das aktuelle Elend der Menschen als Hebel, um neoliberale Politik durchzusetzen.

Für Haiti ist das eine Wiederholung der Geschichte. Historiker haben dokumentiert, wie das Ausbluten Haitis in den ersten Jahrzehnten seiner Unabhängigkeit begann, nachdem Haitis Sklaven und Freie das Land im Jahre 1804 von der französischen Kolonialmacht befreit hatten. Schon 1825 gerieten sie in eine neue Abhängigkeit, nämlich durch Auslandsverschuldung. Um Frankreich und andere Westmächte von der Verhängung eines Embargos abzuhalten, willigte Haiti ein, 150 Millionen Franc als Reparationen an französische Sklavenhalter zu zahlen. Befreite Sklaven wurden also gezwungen, ihre früheren Besitzer für ihre Befreiung zu entschädigen! Um das zu bewerkstelligen, liehen sie sich das Geld von Banken in Frankreich, und später aus Deutschland und den USA. Um 1900 gab Haiti 80 Prozent seines Haushalts für die Rückzahlungen aus. Und es dauerte 122 Jahre, bis 1947, bis die »Schuld« abgezahlt war.

Im Jahr 2003 forderte der damalige Präsident Aristide Frankreich auf, das gezahlte Geld zurückzuerstatten. Es handelte sich umgerechnet um rund 22 Milliarden Dollar. Kurz danach wurde er durch einen Staatsstreich gestürzt und mußte auf Druck der USA das Land verlassen.

Aber es gab auch die IWF- und Weltbank-Politik der »Strukturanpassung« in den 90er Jahren. So wurde Haiti 1995 durch den IWF gezwungen, den Zoll für Reis von 35 auf drei Prozent zu senken, wodurch ein riesiges Überangebot an Reis entstand, vor allem an Importen aus den USA. Jahre später wurde in einem Bericht festgehalten, daß Haiti zwar ursprünglich ein Reis exportierendes Land war, jedoch im Jahre 2005 drei von vier Portionen Reis, die in Haiti gegessen wurden, aus den USA stammten. In jenen Jahren gab es große Investitionen seitens USAID in Haiti, aber die »Wohltätigkeit« kam nicht in Form von finanzieller Unterstützung für die landwirtschaftliche Infrastruktur, sondern als Lieferung von Lebensmitteln, wodurch die Abhängigkeit Haitis vom Ausland vergrößert wurde und außerdem das entsprechende Geld direkt in die USA zurückfließen konnte.

Im Jahre 2008 zeigte ein Bericht des »Center for International Policy«, daß Haiti im Jahre 2003 57,4 Millionen US-Dollar zur Schuldentilgung im Ausland aufwenden mußte, während im selben Jahr Hilfe aus dem Ausland für Bildung, Gesundheitswesen und andere Dienstleistungen in Höhe von 39,21 Millionen Dollar eintraf. Mit anderen Worten, für angebliche Wohltätigkeit hat Haiti mehr zurückgezahlt, als es bekommen hat.

Was also kann man tun? Ein langfristiges Ziel muß da­rin bestehen, den IWF dazu zu bringen, Haiti die Schulden in Höhe von 265 Millionen Dollar (also die bereits bestehenden 165 Mio. sowie die gerade gewährten 100 Millionen) zu erlassen. Kurzfristig würde es helfen, wenn die IWF-Kredite so umstrukturiert werden könnten, daß sie über einen anderen Kreditrahmen laufen, bei dem keine Bedingungen bezüglich Lohnstopp erhoben werden.

Schuldenerlaß wäre tat­sächlich wesentlich für die Zukunft Haitis. Das Land hat immer noch Auslandsschulden in Höhe von 891 Millionen Dollar. 429 Millionen davon schuldet Haiti der Inter-American Development Bank (IDB), die allein aus Port-au-Prince im kommenden Jahr 10 Millionen Dollar Rückzahlungen erwartet. Dieses Geld könnte ohne jeden Zweifel viel besser dafür verwendet werden, in Haiti Leben zu retten und das Land in den kommenden Monaten wieder aufzubauen. Das Erlassen der gesamten Schulden würde wertvolles Kapital freisetzen. Die USA kontrollieren 30 Prozent der IDB, Länder aus Lateinamerika und der Karibik halten etwas über 50 Prozent. Die Kredite der IDB kommen bekanntlich aus ihrem Fonds für Sonderoperationen, nicht aus Obligationen. Das bedeutet, die gesamte Schuld könnte erlassen werden, ohne daß die IDB ihr AAA-Rating verlieren würde.

Der Artikel wurde – gekürzt – aus der Zeitschrift »THE NATION«, New York entnommen. Übersetzung: ZLV/bro