Ausland21. Februar 2024

Eine Warnung an alle Journalisten

»Morning Star«: Der Fall Julian Assange vor dem Obersten Gericht

Wenn der Oberste Gerichtshof diese Woche gegen Julian Assange entscheidet, wird die Behauptung, Britannien sei ein freies Land, nicht länger aufrechterhalten werden können. Die brutale Mißhandlung des herausragenden Journalisten läßt das schon jetzt brüchig erscheinen.

Britische Politiker sind zutiefst beleidigt über die Verfolgung von Alexej Nawalny durch den russischen Staat, der nach jahrelanger Haft unter immer härteren Bedingungen letzte Woche im Alter von 47 Jahren starb. Keiner von ihnen sollte beim Wort genommen werden, es sei denn, sie äußern ähnliche Bedenken in Bezug auf Julian Assange.

Der WikiLeaks-Gründer ist seit zwölf Jahren kein freier Mann mehr. Nach seiner Inhaftierung im Hochsicherheitsgefängnis Belmarsh im Jahr 2019 ist der UNO-Sonderberichterstatter für Folter und Mißhandlung, Nils Melzer, zu dem Schluß gekommen, daß seine Behandlung psychologische Folter darstellt. Allein die Schilderung des Verlaufs des Falles enthüllt eine Verschwörung gegen Assange, die Position der britischen Behörden, dafür zu sorgen, daß er nicht frei kommt, was auch immer geschieht.

Die Vergewaltigungsvorwürfe, aufgrund derer er ursprünglich verhaftet wurde, sind längst zurückgezogen worden (und es wurden Beweise dafür gefunden, daß die schwedischen Staatsanwälte schon damals unter britischem Druck arbeiteten – vom damaligen Direktor der Staatsanwaltschaft, einem gewissen Keir Starmer, seit dem 4. April 2020 Vorsitzender der Labour Party. ).

Ein wesentlicher Teil der Vorwürfe der USA gegen Julian Assange – daß er Sigurdur Ingi Thordarson gebeten habe, Computer zu hacken, um an geheime Informationen zu gelangen – brach zusammen, als Thordarson unter Eid zugab, daß er gelogen hatte.

Seitdem haben wir herausgefunden, daß die CIA die Anwälte von Assange ausspioniert und sogar in Erwägung gezogen hat, ihn auf britischem Boden zu entführen oder gar zu ermorden. Der Solidaritätsaktivist John Rees hat angemerkt, wäre jeder gewöhnliche Fall eingestellt worden, nachdem einer dieser Mißstände ans Licht gekommen wäre.

Aber dies ist kein gewöhnlicher Fall. Es handelt sich um politische Verfolgung. Das wird auch durch das Schweigen der britischen Regierung – und der parlamentarischen Opposition – zu diesen unerhörten Verletzungen unserer Souveränität durch die Vereinigten Staaten deutlich.

Es lohnt sich also, darüber nachzudenken, was politisch auf dem Spiel steht. Die »New York Times« hat hervorgehoben, daß dies die erste Anwendung des Spionagegesetzes der Vereinigten Staaten ist, um jemanden wegen der Veröffentlichung von Informationen zu belangen. Dabei handelt es sich jedoch nicht um das Durchsickern von Verschlußsachen von einem Arbeitsplatz eines Geheimnisträgers aus, sondern um die Veröffentlichung von Informationen, die an WikiLeaks weitergegeben wurden. Damit ist es ein Versuch, den Journalismus zu kriminalisieren.

Die Veröffentlichung der Informationen lag eindeutig im öffentlichen Interesse: WikiLeaks enthüllte die enorme Zahl der Todesopfer unter der Zivilbevölkerung in den Kriegen in Afghanistan und im Irak sowie dramatisches Filmmaterial über Kriegsverbrechen der USA-Streitkräfte – am bekanntesten ist das »Kollateralmord«-Video, in dem US-amerikanische Hubschrauberpiloten lachen, während sie irakische Zivilisten niederschießen.

Das ist es, was der Staat USA verbergen wollte. Kein Wunder. Die von den westlichen Regierungen behauptete moralische Überlegenheit wurde von WikiLeaks als »schöner Schin« entlarvt. Da unsere politischen Herren auf Krieg, Krieg und noch mehr Krieg aus sind, muß der Zugang zu unbequemen Wahrheiten, die die Unterstützung der Bevölkerung für diese Kriege verringern könnten, unterbunden werden.

Deshalb müssen sie dafür sorgen, daß Julian Assange in die Vereinigten Staaten ausgeliefert wird, wo ihm 175 Jahre hinter Gittern drohen. Assange ist kein USA-Bürger, seine journalistische Tätigkeit wurde nie dort ausgeübt, aber dies ist ein Akt des Imperiums: Washingtons Warnung an Journalisten in aller Welt, daß sie dafür bezahlen müssen, wenn sie seine Verbrechen aufdecken.

Überall im Westen werden abweichende Stimmen zum Schweigen gebracht. Online-Zensur und manipulative Algorithmen verbergen die Narrative, die unser Staat und die Unternehmenselite nicht hören wollen; unbequeme Berichte, die durch das Netz schlüpfen, werden als »Fake News« oder »feindliche Desinformation« abgetan.

Die strafrechtliche Verfolgung von Julian Assange ist das Herzstück des gesamten Unterdrückungsprojekts. Sie ist als Warnung gedacht.

Wenn Julian Assange an die USA ausgeliefert werden sollte, dann ist das in den Augen der Weltöffentlichkeit eine Schande für die britische Justiz, aber das ist nichts Neues.

Viel schlimmer ist, daß dies Kriegsverbrecher wie die, die derzeit in Gaza wüten, darin bestärken wird, daß ihre Verbrechen nicht dokumentiert werden, und daß Journalisten und Medien überall mehr Angst davor haben werden, sie aufzudecken.

Editorial der Tageszeitung »Morning Star, London