»Soft power«
USAID-Entwicklungsprojekte sollten »das Vertrauen in die USA erhöhen« und ihren globalen Einfluß fördern
Arzneimittel, Schulen, Impfprogramme, Medien, Alphabetisierungsinitiativen – die Liste ist unvollständig – existieren in vielen der ärmsten Länder der Welt nicht mehr, seit die USA-Regierung der »Entwicklungsbehörde« USAID im Februar den Garaus machte. Die Folgen sind entsetzlich. Allein im Gesundheitsbereich sind laut einem der letzten Memos der Behörde 18 Millionen zusätzliche Malaria-Fälle mit 166.000 Toten zu erwarten. Eine zusätzliche Million Kinder leidet an Hunger sowie weitere 200.000 an Polio-Lähmungen. Auch diese Liste ist unvollständig.
Der neue Außenminister Marco Rubio begründete die Auflösung der seit 64 Jahren bestehenden Behörde, USAID sei »schon vor langer Zeit von seiner ursprünglichen Mission abgewichen, deshalb waren die Gewinne zu gering und die Kosten zu hoch«. Dank Präsident Trump sei »diese fehlgeleitete und finanziell unverantwortliche Ära« vorbei. Die Entwicklungshilfeprogramme der USA würden neu ausgerichtet, »um sie direkt mit dem in Einklang zu bringen, was für die Vereinigten Staaten und unsere Bürger am besten ist«. »America First« eben.
Die 1961 gegründete Organisation war von Präsident John F. Kennedy auf dem Höhepunkt des Kalten Krieges ins Leben gerufen worden mit dem Ziel, ein Gegengewicht gegen die befürchtete Zunahme des wirtschaftlichen und politischen Einflusses der Sowjetunion in Lateinamerika, Afrika und Asien zu schaffen. Doch die Ergebnisse waren schon Ende des Jahrzehnts unbefriedigend, gerade angesichts des Vietnamkriegs. Modernisierung von Infrastruktur und Landwirtschaft mochten sich auch in anderen von USAID »geförderten« Ländern nicht einstellen. In den 1970er Jahren erfolgte unter der Regierung Carter und unter dem Druck des Kongresses ein Prioritätenwechsel hin zu Nahrungsmittelhilfen, Wohnungs- und Bildungsprojekten.
Zehn Jahre später verwandelte sich USAID unter dem Deregulierungsdiktat der Reagan-Regierung zu einem quasi marktwirtschaftlichen Unternehmen. Die USA begannen mit dem Outsourcing von Entwicklungshilfegeldern, wovon diverse Unternehmen der USA profitierten. Laut dem Sozialwissenschaftler Christian Ruth, der USAID untersucht, ließ das Interesse der USA an Entwicklungshilfe nach dem deklarierten Ende des Kalten Krieges nach, und USAID kreierte mit »Demokratieförderung« in Osteuropa und »nachhaltiger Entwicklung« eine neue Prioritätensetzung. Mit der Auflösung von USAID werde laut Ruth »der chinesische Einfluß in armen und Ländern mit mittleren Einkommen anwachsen«.
Die Bestrebungen von USAID waren – wie Entwicklungshilfeprogramme anderer Länder – zu keinem Zeitpunkt humanitärer Natur, sondern immer auch interessen- und machtorientiert. Dafür prägte 1990 der US-amerikanische Politikwissenschaftler Joseph Nye den Begriff »soft power«. USAID-Entwicklungsprojekte sollten »das Vertrauen in die USA erhöhen« und »wirtschaftliche Offenheit fördern«, wodurch der globale Einfluß der USA wachse.
Daß »soft power« oft in Kombination mit oder auch als begleitendes Element von »hard power«, inklusive Drohungen und militärischer Gewalt, ihre Wirksamkeit entfaltet, verkörperte die Leiterin von USAID in der Biden-Regierung, Samantha Power. Im außenpolitischen Fachblatt »Foreign Affairs« argumentierte sie mitten in der Corona-Pandemie im November 2020, die USA würden ihren globalen Führungsstatus am besten dadurch aufbessern, »indem sie Ländern in größter Not weltweit beistehen«. Gerade die Pandemie böte dazu eine goldene Gelegenheit, um China im größten Soft-Power-Wettbewerb seit Generationen zu schlagen.
Jahre davor hatte sich Samantha Power als Hardlinerin einen Namen gemacht. In den 1990er Jahren trug sie als Journalistin maßgeblich dazu bei, daß die Clinton-Regierung Jugoslawien zu bombardieren begann. In ihrem preisgekrönten Buch »A problem from Hell« stellte sie die USA als »unverzichtbare« Nation mit weltweit moralischem Auftrag dar. In der Obama-Regierung war sie im Nationalen Sicherheitsrat wie auch Botschafterin bei der UNO. Sie propagierte »humanitäre Interventionen« und befürwortete 2011 die Bombardierung von Libyen. Dann reiste sie nach Westafrika, um auf die Ebola-Epidemie aufmerksam zu machen. Bei ihrer Senatsanhörung im März 2021 sagte sie als Bewerbung für den Posten als USAID-Chefin, »gesundheitliche Infrastruktur, wirtschaftlicher Wohlstand, die Eindämmung von Extremismus und Radikalisierung, Entwicklung und Diplomatie müssen neben unseren Verteidigungsanstrengungen mit Mitteln ausgestattet werden und Priorität haben«.
Daß USAID außenpolitischen Interessen der USA diente und dabei gelegentlich auf Widerstand bei den betroffenen Regierungen stieß, wurde schon kurz nach seiner Gründung deutlich. Ägypten, Indonesien und Kuba beendeten die Zusammenarbeit wegen nachweislicher Einmischung. Es folgten der Sudan, Indien und der Iran in den 1970er Jahren. Neuere Beispiele sind Venezuela, Rußland, Bolivien, Ecuador, Pakistan, Afghanistan und Äthiopien.
In mindestens einem Fall, nämlich Kuba, operierte USAID verdeckt. Es ging um den Aufbau eines »unabhängigen Nachrichtendienstes« im Stil von Twitter namens »ZunZuneo« zwischen 2009 und 2012. Ziel war es, über eine scheinbar harmlose SMS-Plattform zunächst eine große Nutzerbasis aufzubauen, um später regimekritische Inhalte zu verbreiten und für einen »kubanischen Frühling« mit Massendemonstrationen zu sorgen und den Sturz der Regierung herbeizuführen. Die Plattform wurde geheim betrieben, ohne daß die Nutzer wußten, daß sie von der USA-Regierung finanziert wurde. Als die Finanzierung auslief und Bedenken über die Geheimhaltung wuchsen, wurde »ZunZuneo« 2012 schlagartig eingestellt.