Ausland31. März 2022

»Ein tentakelbewehrtes Medienimperium«

Milliardär Vincent Bolloré kontrolliert in Frankreich den Markt für Schul- und Taschenbücher, und bietet dem faschistischen Rechtsaußen Éric Zemmour eine TV-Plattform

von Hansgeorg Hermann, Paris

Gewerkschaften, Buchhändler, Journalisten und Schriftsteller klagen immer wieder und völlig zu Recht, Frankreichs Medienlandschaft, das Geschäft mit der Literatur eingeschlossen, werde von »einer Handvoll Milliardäre« beherrscht. Vielleicht der schlimmste dieser ultrareichen Totengräber der Meinungsfreiheit ist der Bretone Vincent Bolloré, »Patriarch, Freibeuter, Lügner, Katholik und Medienmagnat«, wie der Pariser Autor Renaud Lecadre neulich notierte.

Zum multinationalen Imperium Bollorés, der bis nach Haïti die Branche »beunruhigt«, wie das Journal »L’Observatoire« jüngst erschrocken zugab, gehört der Vivendi-Konzern. Aus dem verlegerischen Hinterhalt heraus vergrößert der Milliardär stetig seinen Einfluß auf die Tagespolitik – was immer ihm dabei nützlich erscheint, reißt er sich unter den Nagel.

Zuletzt baute Bolloré mit seinem Nachrichtensender »C-News« die Rampe, von der der faschistische Rechtsaußen Éric Zemmour als Kandidat für die Präsidentschaftswahl am 10. April in den politischen Kosmos geschossen wurde. Zemmour wird in den meisten TV-Kanälen nur noch zähneknirschend erwähnt, ist als Autor häßlicher Artikel und Bücher sogar bei seinem früheren Hausblatt »Le Figaro« ziemlich unten durch.

Ein »Kollektiv« aus Medienschaffenden und Künstlern versucht, den Hai Vincent Bolloré zu stoppen, seit der den etwas kleineren Fisch Arnaud Lagardère und dessen internationalen Großverlag Hachette – unter anderem Besitzer der renommierten Editionen Fayard und Grasset – geschluckt hat. Als absoluter Mehrheitsaktionär und Besitzer des rechtslastigen Verlagskonglomerats Editis »kontrolliert Bollorés Vivendi die beiden größten französischen Verlagsgruppen«, klagte jüngst die Gewerkschaft der Buchhändler (SLF), »eine Konzentration, die der Sektor noch nie erlebt hat«.

Die SLF will den Widerstand gegen die Machtgelüste des »Freibeuters« nun auf eine höhere, europäische Ebene heben. Sollte die Allianz den Kampf verlieren, wäre neben der politisch motivierten Kontrolle des Medienmarktes durch den Bretonen Vincent Bolloré auch der damit einhergehende Qualitätsverlust im gesamten Verlagswesen des Landes zu ertragen.

Am 16. Februar wollte der Milliardär erklärtermaßen in Rente gehen. Er hatte den Rückzug aus allen Geschäften angekündigt, der 200. Jahrestag der Gründung des Familienunternehmens im bretonischen Département Finistère schien das angemessen geschichtsträchtige Datum. Als der Tag gekommen war, annullierte der Patriarch seinen Beschluß – zu schwer fiel es ihm offenbar, loszulassen und im Alter von bald 70 Jahren abzutreten. Das Kollektiv »Stop Bolloré« hatte ihm da schon »eine gute Zeit« für den letzten Lebensabschnitt gewünscht – verfrüht, wie sich herausstellte. Nun jagt Bolloré. Er sei drauf und dran, »ein tentakelbewehrtes Medienimperium« aufzubauen – und es »in den Dienst seiner auf reaktionärer Ideologie gründenden Ambitionen zu stellen«, prangerte das Kollektiv an, die »Verlagslinie« zeige deutlich »eine Obsession für die Themen der äußersten politischen Rechten«.

Allenfalls Kartell- und Medienwächter der EU könnten den Vorhaben des Bretonen womöglich noch einen Riegel vorschieben, ist das Kollektiv überzeugt: »Wenn wir jetzt nicht handeln, wird es bald zu spät sein«. Vielleicht ist es das schon: Bolloré hält 70 Prozent der Verlagsanteile auf dem Markt für Schulbücher und herrscht über 50 Prozent der französischen Taschenbuchproduktion. Seine zwei Fernsehsender »Canal « und »C8« widmen sich vornehmlich seichter Unterhaltung, mit dem Kanal »C-News« schließlich schießt der neue Medienmogul auf alles und jedes, was sich links der bürgerlich-katholischen Partei Les Républicains bewegt. Auch auf den aktuellen Präsidenten Emmanuel Macron, der sich und die erste Dame Brigitte Macron lieber an der Seite des noch viel reicheren Kapitalisten Bernard Arnault fotografieren läßt.

Dem feinsinnigen, kultivierten Besitzer der internationalen Luxusgüterkette LVMH verdankt Macron die finanzielle Absicherung seiner ersten Präsidentschaftskandidatur im Frühjahr 2017. Mit dem auch im Reichtum rustikal gebliebenen Bolloré verbindet ihn nichts.