Ausland18. Mai 2022

Macrons Margret Thatcher

Elisabeth Borne zur Premierministerin Frankreichs berufen

von Ralf Klingsieck, Paris

Elisabeth Borne wurde am Montag durch Präsident Emmanuel Macron zur Premierministerin berufen und mit der Bildung einer Übergangsregierung beauftragt. Diese amtiert bis zur Parlamentswahl, die am 12. und 19. Juni stattfindet und nach der eine neue Regierung berufen wird. Elisabeth Borne ist die zweite Frau in der Geschichte Frankreichs, die dieses Amt innehat. Die erste war die Sozialistin Edith Cresson, die nur ein Jahr, vom 15. Mai 1991 bis zum 2. April 1992, dieses Amt ausübte und dabei nicht zuletzt an den vielen sexistischen Vorurteilen und Anfeindungen gescheitert ist. Die jetzt ernannte Premierministerin dürfte es da einfacher haben.

Elisabeth Borne wurde 1961 in Paris als Tochter eines polnischen Juden geboren, der 1939 nach Frankreich geflüchtet war, während des Krieges in der Résistance gekämpft hat und dem nach Verhaftung, Deportation und Rückkehr die französische Staatsbürgerschaft verliehen wurde. Er ist gestorben, als Elisabeth Borne elf Jahre alt war, woraufhin sie als Halbwaise eines Helden der Widerstandsbewegung ein staatliches Stipendium bekam, das ihr den Besuch des Gymnasiums und ein Studium ermöglichte. Sie absolvierte die Elitehochschule Ecole polytechnique, wurde Ingenieurin, und nach einem Zusatzstudium auch Master of Business Administration. Sie hat zunächst in den Kabinetten der sozialistischen Minister Jacques Lang und Ségolène Royal, des Pariser Bürgermeisters Bertrand Delanoe sowie von Premierminister Lionel Jospin gearbeitet und stand in dieser Zeit der Sozialistischen Partei nahe, blieb aber parteilos. 2015-2017 war sie Generaldirektorin der Pariser Verkehrsbetriebe RATP. Nach dem Amtsantritt von Präsidenten Emmanuel Macron, dem sie sich im Wahlkampf angeschlossen hatte, wurde sie 2017 zur Verkehrsministerin ernannt. 2019 wechselte sie auf den Posten der Umweltministerin und 2020 mit der Ernennung von Premier Jean Castex auf den der Arbeitsministerin.

Während Präsident Emmanuel Macron, ihr Amtsvorgänger Jean Castex, die meisten ihrer Ministerkollegen und zahlreiche rechte Oppositionspolitiker die Kompetenz, den Fleiß und die Durchsetzungsfähigkeit von Elisabeth Borne hervorheben, kommt von den Gewerkschaften, den Umweltverbänden und den linken Oppositionspolitikern durchweg Kritik. Sie erinnern vor allem an die »Bahnreform«, die trotz eines mehrwöchigen Eisenbahnerstreiks mit harter Hand durchgesetzt wurde, und an die »Arbeitslosenreform«, die für die Betroffenen empfindliche Einbußen mit sich gebracht hat. Der Präsident des Gewerkschaftsverbandes Force ouvrière, Yves Veyrier, schätzt ein, daß »der soziale Dialog bei ihr nur eine Formsache war und die Entscheidungen längst feststanden«.

Der Vorsitzende der Partei der Grünen, Julien Bayou, meint, daß die gesamte Amtszeit von Emmanuel Macron und damit auch die seiner Ministerin durch Untätigkeit »für den Schutz der Umwelt komplett verloren« ist und erinnert daran, daß die Regierung in dieser Zeit zweimal durch ein französisches Gericht wegen »Nichteinhaltung der selbstgestellten Klimaschutzziele« verurteilt wurde. Jean-Luc Mélenchon von der Bewegung La France insoumise verweist darauf, daß zur Bilanz der Ministerin Borne »die Kürzung der finanziellen Unterstützung für eine Million Arbeitslose, die Abschaffung des gedeckelten Gastarifs für die privaten Haushalte, die Verschiebung des Ausstiegs aus der Atomkraft um zehn Jahre sowie die Öffnung der SNCF und der RATP für die Konkurrenz« gehört und schlußfolgert: »Wir gehen einer neuen Periode sozialer Mißhandlung entgegen!«

Der Nationalsekretär der Französischen Kommunistischen Partei (PCF), Fabien Roussel, urteilt: »Mit Elisabeth Borne hat Emmanuel Macron jetzt seine Margret Thatcher bekommen.«