Bei der Umweltstrategie fehlt der politische Wille
Klimagesetz wird in Frankreichs Parlament sehr kritisch diskutiert. Bürgervorschläge kaum berücksichtigt
Das von vielen Franzosen mit Spannung und großer Hoffnung erwartete Gesetz »Klima und Energiesicherheit«, über das seit Anfang April in der Nationalversammlung debattiert wird, läßt viele Wünsche offen. Eigentlich sollte es die Vorschläge des Bürgerforums über Klima- und Umweltpolitik umsetzen, aber da ist viel offen geblieben.
Das durch Präsident Emmanuel Macron eingesetzte Gremium von 150 per Los ermittelten Bürgern, die 2019/20 neun Monate lang bei regelmäßigen Zusammenkünften in Paris diskutierten, hatte zum Abschluß einen Katalog mit 149 konkreten Vorschlägen vorgelegt, von denen der Präsident bis auf drei alle akzeptiert hat und zu verwirklichen versprach.
In den zurückliegenden Monaten müssen die Lobbyisten der verschiedenen Wirtschaftszweige sehr aktiv gewesen sein, denn in den 69 Paragraphen findet sich bestenfalls ein Drittel der Vorschläge wieder, und die oft auch noch spürbar entschärft. Das Gesetz betrifft alle Bereiche des täglichen Lebens, von der Industrieproduktion und anderen Formen der Arbeit über Transport und Wohnungswesen bis zur Ernährung und dem Konsumverhalten der Menschen.
Beispielsweise soll im Interesse einer verbrauchernahen und artgerechten Landwirtschaft der Zweckentfremdung von Ackerboden ein Riegel vorgeschoben und verhindert werden, daß weiterhin Jahr für Jahr in Frankreich Flächen von der Größe eines Landkreises »zubetoniert« werden. Da andererseits großer Bedarf an bezahlbarem Wohnraum besteht, sollen Neubauten künftig nur noch im Rahmen schon vorhandener Siedlungen entstehen und diese »verdichten«.
Im Verkehrswesen soll der besonders umweltbelastende Flugverkehr eingeschränkt werden, indem Inlandlinien zwischen Städten, die mit der Bahn innerhalb von zwei Stunden erreicht werden können, eingestellt werden. Vorgeschlagen waren drei Stunden, aber das hätte nahezu den gesamten Inlandflugverkehr betroffen. Um den Gütertransport stärker von der Straße auf die Schiene umzulenken, sollen die Regionen ermächtigt werden, die als »Ökosteuer« bezeichnete Lkw-Maut für Nationalstraßen, deren landesweite Einführung 2013 nach heftigen Protestaktionen aufgegeben wurde, für ihr Territorium neu zu beleben.
Breiten Raum nehmen staatlich geförderte Baumaßnahmen gegen Energieverluste bei älteren Wohngebäuden ein, doch viele dabei noch weiter gehende Vorschläge blieben aus Kostengründen unberücksichtigt. Der Vorschlag, Plastikflaschen für Wasser und andere Getränke durch gläserne Pfandflaschen zu ersetzen und dafür ein landesweites Rücknahmesystem aufzubauen, fiel ganz unter den Tisch. Stark umstritten ist auch die Vorschrift im Gesetz, daß in allen Betriebs- und Schulkantinen täglich mindestens ein vegetarisches Gericht angeboten werden muß, dessen Rohstoffproduktion weniger CO2-Emissionen verursacht als Fleischnahrung.
Um die Flut von Werbeprospekten einzudämmen, die letztlich von den Konsumenten bezahlt werden müssen und für die unzählige Bäume geopfert werden, ist ein dreijähriger Test geplant, wonach Prospekte nur noch in Briefkästen eingeworfen werden dürfen, auf denen ein Etikett „Werbung ja“ klebt. Andererseits wurde die Forderung nach einem Werbeverbot für besonders verbrauchsstarke Autos nicht berücksichtigt, was mit den Arbeitsplätzen in der Autoindustrie begründet wird.
Solche Halbheiten und Inkonsequenzen ziehen sich durch das ganze Gesetz. Es sollte »möglichst ausgewogen« sein, rechtfertigt sich die Regierungspartei La République en marche (LREM), die den Gesetzentwurf im Parlament verteidigt. »Wir wollen eine fortschrittliche Umwelt- und Klimapolitik, die aber nicht das Wirtschaftswachstum zerschlägt«, erklärte der LREM-Abgeordnete Jean-René Cazeneuve bei der Vorlage des Gesetzentwurfs im Plenum der Nationalversammlung. Zuvor waren in den Kommissionssitzungen fast alle ergänzenden Vorschläge der Grünen und anderer Oppositionsparteien schon abgeschmettert worden.
Um den Mangel an politischem Willen anzuprangern, der durch den lückenhaften Charakter des Gesetzestextes deutlich wird, nahmen am Wochenende vor dem Beginn der Parlamentsdebatte im ganzen Land 110.000 Menschen an Demonstrationen teil, zu denen 650 verschiedene Vereinigungen und Organisationen aufgerufen hatten – ein absoluter Rekord für Ökoprotestaktionen. Sie fordern eine »echte Umwelt- und Klimapolitik« und warnen, daß mit einem so halbherzig zusammengeschusterten Gesetz das auf dem Pariser Klimagipfel von 2015 verkündete Ziel, bis 2030 Frankreichs Klimagasemissionen im Vergleich zu 1990 um 40 Prozent zu senken, schon jetzt verfehlt wird.