Ausland15. Dezember 2022

Inflation führt zu historischem Reallohnverlust

Die Verbraucherpreise in Deutschland steigen deutlich stärker als die Löhne. Beschäftigte haben dadurch real weniger Geld zur Verfügung.

von dpa/ZLV

Die hartnäckig hohe Inflation zehrt in diesem Jahr Lohnzuwächse in einem einmaligen Ausmaß auf. Tarifbeschäftigte haben damit unter dem Strich real weniger Geld zur Verfügung. Nach einer vorläufigen Bilanz des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts (WSI) handelt es sich um einen »in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland bislang einzigartigen Reallohnverlust.«

Die Teuerung verlor im November zwar etwas an Tempo, blieb nach bestätigten Daten des Statistischen Bundesamtes mit 10,0 Prozent aber weiter zweistellig. Nach Angaben des WSI-Tarifarchivs der gewerkschaftlichen Böckler-Stiftung steigen die Tariflöhne in Deutschland 2022 gegenüber dem Vorjahr um durchschnittlich 2,7 Prozent. Angesichts einer zu erwartenden Steigerung der Verbraucherpreise um 7,8 Prozent im Jahresschnitt ergebe sich hieraus ein durchschnittlicher Rückgang der tarifvertraglich vereinbarten Reallöhne von 4,7 Prozent.

Zum einen hätten in diesem Jahr aufgrund langfristig wirksamer Tarifverträge in vielen Branchen gar keine Tarifverhandlungen stattgefunden, erläuterte der Leiter des WSI-Tarifarchivs, Thorsten Schulten. »Andererseits werden aktuell vereinbarte, deutlich stärkere Tariferhöhungen und Inflationsprämien oft erst ab 2023 wirksam.«

Die Inflation in Deutschland wird seit Monaten von hohen Energie- und Lebensmittelpreisen angetrieben. »Wir beobachten zunehmend auch Preisanstiege bei vielen anderen Waren neben der Energie«, erläuterte der Präsident der Wiesbadener Behörde, Georg Thiel.

Energie kostete im November 38,7 Prozent mehr als ein Jahr zuvor. Der Preisanstieg schwächte sich nach einem Zuwachs von 43 Prozent im Oktober damit etwas ab. Für Nahrungsmittel mußten Verbraucher 21,1 Prozent mehr zahlen als im November 2021. Seit Jahresbeginn hat sich der Preisauftrieb hier schrittweise verstärkt.

Insgesamt stiegen die Verbraucherpreise im November gegenüber dem Vorjahresmonat um 10,0 Prozent. Im Oktober hatte die Jahresinflationsrate mit 10,4 Prozent den höchsten Stand seit etwa 70 Jahren erreicht. Im Vergleich zum Vormonat sanken die Verbraucherpreise im November insgesamt um 0,5 Prozent.

Bundesbankpräsident Joachim Nagel geht davon aus, daß die Inflationsrate in Deutschland auch im kommenden Jahr hoch bleibt. »Ich halte es für wahrscheinlich, daß im Jahresdurchschnitt eine Sieben vor dem Komma stehen wird«, sagte er jüngst.

Hohe Teuerungsraten schmälern die Kaufkraft. Die Menschen können sich für einen Euro weniger leisten. Bei einer Yougov-Umfrage unter mehr als 2.000 Menschen in Deutschland gaben im November 23 Prozent an, in den vergangenen drei Monaten meistens oder immer Schwierigkeiten beim Lebensmitteleinkauf gehabt zu haben. Mehr als die Hälfte (59 Prozent) haben bei den gewohnten Ausgaben bereits den Rotstift angesetzt. Gut zwei Drittel (67 Prozent) gehen davon aus, ihre Ausgaben zu kürzen oder weiter zu verringern.

»Einige Unternehmen scheinen den Kostenschub als Vorwand dafür zu nehmen, durch eine Erhöhung ihrer Absatzpreise auch ihre Gewinnsituation zu verbessern«, erklärte Ifo-Experte Joachim Ragnitz. Dies dürfte die Inflation verstärkt haben.