Kaleidoskop12. April 2024

Spanien: Wenn Tourismus zur Plage wird

von dpa/ZLV

Anwohner stehen an der Strandpromenade und beschimpfen vorbeigehende Touristen. »Geh zurück nach Hause!«, rufen einige. Andere drohen gar mit Schlägen. Man sieht auf dem von Medien geposteten Video Plakate mit Aufschriften wie »Tourists go Home!« oder »Esta es nuestra tierra« (Das ist unser Land).

Ähnliche Aktionen, Graffiti und Proteste verärgerter Menschen gibt es in Spanien immer öfter. »Die Tourismusphobie nimmt zu«, stellte der Radiosender »Cadena Ser« kürzlich fest. Nicht nur an den langjährigen Hotspots des Sauftourismus wie die Insel Mallorca oder die Metropole Barcelona, sondern auch in Regionen, die lange als Tourismusoasen galten. Dazu gehört unter anderem der Jakobsweg in Galicien. Derzeit ist aber vor allem die Lage auf den Kanaren angespannt.

Die oben beschriebene Szene ereignete sich im Süden Teneriffas. Aber auch auf anderen der größeren spanischen Inseln, wie Fuerteventura, Gran Canaria, Lanzarote oder La Palma, die vor allem von britischen und deutschen Touristen besucht werden, haben immer mehr Einheimische die Nase voll. Der Massentourismus wird für Umweltzerstörung, Staus, Wohnungsnot, Überfüllung, Preisanstiege und Wassermangel sowie für die Überlastung des Gesundheitssystems und der Müllabfuhr verantwortlich gemacht. »Die Kanaren werden von Tourismusphobie heimgesucht«, stellte am Mittwoch das Fachportal Hosteltur fest. Die Regionalblatt »El Diario« schrieb, die Kanaren seien »ein Pulverfaß«.

In der Tat: An die 20 Bürgerinitiativen haben sich zur Organisation »Canarias se agota« (Die Kanaren haben genug) zusammengeschlossen – und gehen gemeinsam auf die Barrikaden. Am Dienstag gab es in Madrid einen Protest vor dem Parlament. Für gestern wurde der Beginn eines unbefristeten Hungerstreiks von zunächst zehn Aktivisten vor der Kirche La Concepción in La Laguna im Norden Teneriffas angekündigt.

Am 20. April soll es auf den Inseln vor der Westküste Afrikas die ersten Großmanifestationen geben. Ihre Organisatoren haben »einen der größten Proteste in der Geschichte der Region« angekündigt. Die Liste ihrer Forderungen ist lang. Sie reicht von einem sofortigen Baustopp für Hotels und Golfplätze über die Einführung einer Übernachtungssteuer, wie es sie schon länger auf den Balearen oder in Barcelona gibt, bis hin zu einer besseren Regulierung der Ferienwohnungen. Gefordert wird auch eine wirtschaftliche Diversifizierung, mit einer stärkeren Förderung von Industrie und Landwirtschaft, um nicht mehr so stark vom Tourismus abhängig zu sein. Die Branche macht rund 35 Prozent des BIP (Bruttoinlandsprodukt) der Kanaren aus und bis zu 40 Prozent der Lohnabhängigen arbeiten im Tourismussektor.

Aus dem Ausland kamen voriges Jahr rund 14 Millionen Besucher auf die Kanaren. Über 13 Prozent mehr als im Vorjahr und über sechs Prozent mehr als vor Pandemieausbruch 2019. Die Tendenz setzt sich dieses Jahr fort. Vom Boom profitieren aber nur ganz wenige. Unter den 17 Autonomen Gemeinschaften Spaniens sind die Kanaren die zweitärmsten.

»Die Armut nimmt zu, die Lebensqualität ab, auf den Straßen sieht man so viele Obdachlose wie nie zuvor«, berichtete der Aktivist Rubén Pérez im Gespräch mit der Digitalzeitung »Vozpópuli«. Man nähere sich dem »sozialen und ökologischen Kollaps«. Sein Kollege Jaime Coello warnt in der Zeitung »La Provincia« vor einer »Katastrophe«. »Alles scheint in den Dienst des Tourismus gestellt zu werden. Die Bedürfnisse der Bevölkerung werden nicht berücksichtigt«, klagte er.