Kultur19. Januar 2023

Solodebüt von Blur-Drummer Dave Rowntree

Zugegeben, mit 58 Jahren eine Solokarriere zu starten, ist ziemlich ungewöhnlich. Dave Rowntree grinst, als er darauf angesprochen wird. »Ich brauchte das nötige Selbstvertrauen und die Gelegenheit«, sagt der Schlagzeuger der Britpopikonen Blur im dpa-Interview. Jetzt erscheint sein erstes Soloalbum »Radio Songs«.

Daß er seit Jahren Musik für Filme und Dokumentationen macht, gab ihm den entscheidenden Schub. »Meine Karriere als Filmkomponist war bisher erfolgreich«, sagt er. »Und das hat mir wirklich das Selbstvertrauen gegeben, es mal zu versuchen, meine Songs zusammenzustellen, sie richtig aufzunehmen und auf eine Platte zu bringen.« Die passende Zeit dafür boten schließlich zwei Corona-Lockdowns in England.

Mit »Radio Songs« huldigt Dave Rowntree einer lebenslangen Leidenschaft. Das Radio übt auf ihn seit Kindheitstagen eine große Faszination aus. »Andere Väter gehen mit ihren Söhnen zu Fußballspielen oder zum Angeln, mein Vater hat mit mir am Küchentisch Radios gebaut.« Das Album soll das Gefühl vermitteln, das man als Hörer hat, wenn man an einem alten Radioempfänger dreht. »Als Kind hatte ich ein Radio neben meinem Bett, und besonders über Langwelle kann man buchstäblich Sender aus der ganzen Welt empfangen. Für mich, einen kleinen Jungen, der im Süden Englands aufgewachsen ist, klang das einfach unglaublich exotisch. Und ich habe davon geträumt, wie das Leben an diesen anderen Orten mit den seltsam klingenden Sprachen und der irgendwie ungewöhnlichen Musik sein muß.«

Die merkwürdigen Geräusche, die man im Langwellenrundfunk hören konnte und noch kann, gibt es dazu. Rowntree hat sie für das Album aufgespürt. »Ich habe viel Zeit verbracht, die Geräusche zwischen den Sendern aufzunehmen. Da findet man heutzutage oftmals die besten Klänge.« Die benutzte der Soundtüftler als Grundlage für seine Songs, zum Beispiel als Klangbett oder für bestimmte Texturen.

Ironischerweise enthält das Album kaum typische Radiosongs. Für Taylor Swift sei es wichtig, daß sie auf BBC Radio One gespielt wird, für ihn nicht, sagt Rowntree. Die eingängige Single »London Bridge« mit treibendem Rhythmus, markanten Synthesizern und leichtem New-Wave-Einschlag paßt noch am ehesten ins Radio. Hingegen sind andere Songs langsam, mal beklemmend (»Devil's Island«), mal melancholisch (»1000 Miles«), aber immer atmosphärisch dicht. In »HK« kommt der Filmkomponist besonders durch.

Es ist kein politisches Album, aber wer genau hinhört, erkennt auch politische Untertöne Rowntrees, der seit Jahrzehnten der Labour Party angehört, mehrfach erfolglos für das britische Unterhaus kandidierte, aber dafür andere Ämter übernahm. »There's nothing to see here, there's no need to be here«, singt der 58-Jährige – eine Anspielung auf das Brexit-Votum und die Überraschung über den Ausgang.

Über seine neue Rolle als Leadsänger sagt Rowntree, es habe sich »erstaunlich natürlich angefühlt«. Zwar ist seine Stimme nicht gerade charismatisch, paßt aber mit ihrer leichten Monotonie gut zu seiner atmosphärischen Musik. »Radio Songs« ist ein Album, auf das man sich einlassen muß, mitunter etwas sperrig, aber hochinteressant.

Langfristig will Rowntree mit seinen eigenen Liedern auch auf Tournee gehen. Doch zuvor stehen mit den Kollegen von Blur zwei der größten Auftritte in der Karriere der Band an. Am 8. und am 9. Juli spielen die Britpop-Veteranen bei einer Sommertournee als Headliner im riesigen Londoner Wembley-Stadion. Das erste Konzert ist schon ausverkauft, die Vorfreude bei allen groß.

»Wir haben da noch nie gespielt, aber es ist einer dieser ikonischen Orte«, betont der Schlagzeuger. »Als wir gefragt wurden, ob wir das machen wollen, haben wir sofort zugesagt.« Sogar neue Musik mit Blur stellt er in Aussicht, vielleicht sogar schon im Sommer.

dpa