Heuchelei auf höchster Ebene
Der deutsche Bundespräsident entschuldigt sich für SS-Verbrechen in Italien
Der Bundespräsident der Bundesrepublik Deutschland, Frank Walter Steinmeier, hat an den Gedenkfeierlichkeiten zum 80. Jahrestag des Massakers in Marzabotto in Italien teilgenommen und um Vergebung gebeten für das, was dort vor achtzig Jahren geschehen ist. Im September/Oktober 1944 hatte die SS-Panzer-Aufklärungsabteilung 16 der 16. SS-Panzergrenadier-Division »Reichsführer SS« unter dem Kommando von Sturmbannführer Walter Reder den Ort überfallen und laut der italienischen Chronik des Widerstands 1.836Menschen ermordet.
Worte reichten nicht aus, um zu beschreiben, was hier geschehen ist, sagte er in seiner Rede in italienischer Sprache. »So viel Grausamkeit, so viel Leid, so viel Schmerz, so vieler Menschen, deren Leben hier zerstört wurde«, heuchelte er vor den zu den Gedenkfeiern der Gemeinde versammelten Familienmitgliedern und Nachkommen der Opfer. Steinmeier erinnerte sogar an den Geiselmord der SS in den Fosse Ardeatine bei Rom, wo im März 1944 335 Menschen ermordet wurden, an die 560 Einwohner von in Sant‘Anna di Stazzema in der Toskana, die am 12. August 1944 von der Abteilung Reder auf dieselbe Weise bestialisch ermordet wurden und sprach von »unmenschlichen Verbrechen«.
Während Steinmeier um Vergebung bittet, verschweigt er, daß die Bundesrepublik Deutschland vor 75 Jahren aus diesem braunen Sumpf entstand, der bis heute nicht trocken gelegt ist und der auch den Nährboden für die Rechtsaußen-Partei Alternative für Deutschland (AfD) bildet, deren Erfolge die Lega, ein Bündnispartner Georgia Melonis, der faschistischen Ministerpräsidentin Italiens, feiert. Er verschweigt ebenfalls, daß dem SS-Obersturmbannführer Herbert Kappler, der als damaliger Polizeichef von Rom das Massaker in den Fosse Ardeatine kommandierte, 1977 mit Hilfe westdeutscher Komplizen zur Flucht aus Italien verholfen wurde, wo er eine lebenslange Haftstrafe verbüßen sollte, daß er in der BRD frenetisch gefeiert wurde und die Justizbehörden der Bundesrepublik Deutschland seine Auslieferung nach Italien verweigerten.
Verschwiegen wird, daß viele SS-Mörder in der Bundesrepublik Deutschland ihre Karrieren unbeschadet fortsetzen konnten. Ein beredtes Beispiel für die unbewältigte braune Vergangenheit ist die kurz nach Aufstellung der Bundeswehr mit der Truppenbezeichnung der faschistischen deutschen Wehrmacht gebildete Erste Gebirgsdivision »Edelweiß«. Der frühere bayerische Ministerpräsident Edmund Stoiber, der seinen Grundwehrdienst bei den Gebirgsjägern ableistete, äußerte seinen »besonderen Stolz« auf diese Truppe und »ihre Leistungen in Vergangenheit und Gegenwart«.
Zu den »Leistungen« dieser Edelweiß-Truppe in der Vergangenheit, auf die ein Ministerpräsident in der BRD so stolz ist, gehören die im September 1943, nach der Kapitulation Italiens und dessen Ausscheiden aus der faschistischen Achse mit Hitlerdeutschland sowie dem Übertritt auf die Seite der Antihitlerkoalition auf der griechischen Insel Kefalonia an italienischen Soldaten und Offizieren begangenen bestialischen Kriegsverbrechen. Dort weigerte sich die Infanteriedivision »Acqaui«, die Waffen niederzulegen und sich in Gefangenschaft der deutschen Wehrmacht zu begeben.
In mehrtägigen Gefechten schlug die Division die Angriffe der Wehrmacht zurück. Erst den nach Kefalonia verschifften Einheiten der Gebirgsdivision »Edelweiß« gelang es mit massiver Luftunterstützung und überlegener Artillerie, den Widerstand der geschwächten Italiener am 22. September 1943 zu brechen. Nach der Kapitulation wurden insgesamt 4750 Mann, unter ihnen der italienische Divisionskommandeur und 155 Offiziere, von den Gebirgsjägern niedergemetzelt. Der westdeutsche Historiker Gerhard Schreiber zitiert in seinem Buch »Deutsche Kriegsverbrechen in Italien« (München 1996) Augenzeugen, die berichten, daß von der ebenfalls Widerstand leistenden italienischen Division »Perugia« Offiziere vor versammelter Truppe enthauptet wurden und der vom Körper getrennte Kopf des Generals Ernesto Chiminello am 4. Oktober 1943 wie eine »blutige Trophäe« zur Schau gestellt worden sei.
Unbeschadet der begangenen Kriegsverbrechen setzten Gebirgsjäger-Offiziere ihre Karrieren in der westdeutschen Bundeswehr fort. Der kommandierende General des XXII. Gebirgs-Armeekorps der Wehrmacht, General Hubert Lanz, stand in Nürnberg als Kriegsverbrecher vor Gericht. Er kam mit 12 Jahren Gefängnis davon, von denen er nur fünf verbüßte. Sein Name wurde in die Traditionslisten der Bundeswehr aufgenommen.
Der Generalstabsoffizier der Edelweiß-Division, Karl Wilhelm Thilo, schaffte es in der westdeutschen Bundeswehr zum Generalleutnant. Major Reinhold Klebe, unter dessen Kommando 400 Gefangene ermordet wurden, brachte es bis zum Kommandeur eines Gebirgsjägerbataillons und Standortältesten von Mittenwald. In der Zeitschrift »Die Gebirgstruppe« rühmte er den Einsatz in Kefalonia als »eine große Leistung deutscher Truppen im Gebirgskrieg«.
Der SS-Henker von Mailand, SS-Hauptsturmführer Theodor Savecke, verantwortlich für die Ermordung von über 2.000 italienischen Juden und Widerstandskämpfern, stieg in der Bundesrepublik Deutschland zum Kriminalrat und Vizechef der Sicherungsgruppe Bonn des Bundeskriminalamtes (BKA) auf. Insgesamt blieben mehr als vier Fünftel der Staatsbeamten des »Dritten Reiches«, das waren 200.000 Personen, in der Bundesrepublik auf ihren Posten und setzten ihre Laufbahn fort.
Die faschistischen SS-Mörder Hitlers fanden jedoch nicht nur in der Bundeswehr oder der Polizei wieder Verwendung. In der ersten Regierung nach der Gründung der Bundesrepublik Deutschland im September 1949 waren mehr Mitglieder der Nazi-Partei NSDAP als in Hitlers erster Reichsregierung im Februar 1933. Selbst unter den 18 Ministern der dritten Regierung von Bundeskanzler Konrad Adenauer (1957-1961) waren vier Männer aktive Mitglieder der NSDAP oder der SA und sechs Offiziere der Wehrmacht. Zu ihnen gehörte der an Nazi- und Kriegsverbrechen beteiligte frühere NSDAP-Aktivist Theodor Oberländer, der seit 1953 Vertriebenenminister unter Adenauer war und 1955 in Adenauers Christlich-Demokratische Union (CDU) aufgenommen wurde.
Bundeskanzler Adenauer, der nach dem Krieg zum »Widerstandskämpfer« stilisiert wurde, und nach dem in Luxemburger EU-Viertel ein Boulevard und ein Gebäudekomplex benannt sind, war bis zu seinem Lebensende mit dem spanischen faschistischen Diktator Franco befreundet. Besuchern seines Wohnhauses in Rhöndorf bei Bonn wurde noch jahrelang ein Gemälde gezeigt, das der Kanzler »von Herrn Franco« als Geschenk bekommen hatte.
Angesichts der Tatsache, daß auch die deutsche Bundeswehr in Kriegsverbrechen verwickelt ist, werden die Ausführungen des Bundespräsidenten in Marzabotto und die Bitte um Vergebung zu einer reinen Heuchelei. Erinnert sei unter vielen Beispielen daran, daß die Bundesrepublik Deutschland mehr als alle anderen Bündnispartner der USA an deren verbrecherischem Krieg in Vietnam beteiligt war. Bundeswehr-Piloten nahmen am völkerrechtswidrigen Überfall der NATO auf Jugoslawien teil, in dessen Verlauf 78 Tage lang Städte, Infrastruktur, Fabriken, Eisenbahnlinien und Züge, Zentren der serbischen Infrastruktur, Bauernmärkte, eine neurologische Klinik, Fernsehsender, Raffinerien, E-Werke und Brücken bombardiert wurden. Zum Einsatz kamen dabei Grafitbomben, Streubomben, 30.000 Urangeschosse, Lenkwaffen, Tarnkappenflugzeuge. Das von Serbien völkerrechtswidrig abgespaltene Kosovo ist in Wirklichkeit ein NATO-Protektorat, in dem noch immer mehrere tausend NATO-Soldaten stationiert sind, darunter ein Kontingent der deutschen Bundeswehr.
Auf Sardinien nahmen zwischen 2008 und 2016 Bundeswehr-Einheiten an der Erprobung von Waffensystemen teil, die hochgiftige und krebserregende Stoffe freisetzten, was unter den Anwohnern zu hohen Krebsraten und Mißbildungen mit zahlreichen Todesfällen führte.
Es gäbe sehr viele Gründe für einen deutschen Bundespräsidenten, um Vergebung zu bitten – nicht nur in Italien.