Luxemburg20. Februar 2024

Erdgas statt Menschenrechte

Weil die EU auf fossile Rohstoffe aus Aserbaidschan angewiesen ist, fällt auch die luxemburgische Solidarität mit Armenien mager aus

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Weil mit Schiffen aufwendig über den Atlantik gekarrtes US-amerikanisches Frackinggas nicht nur rund dreimal so teuer ist wie russisches Pipelinegas, sondern obendrein den EU-europäischen Bedarf bei weitem nicht decken kann, befindet sich Aserbaidschans Staatschef Ilham Alijew in einer komfortablen Lage. Weder zwei Angriffskriege zur Eroberung des von Armeniern bewohnten Gebiets Nagorno-Karabach, noch die Vertreibung fast aller 120.000 Menschen, die dort bis zum vergangenen Herbst gelebt haben, konnte ihm etwas anhaben. Statt wie üblich Sanktionen zu verhängen, baut die EU ihre Wirtschaftsbeziehungen mit Aserbaidschan weiter aus. Ihre angebliche Solidarität mit dem erst vor wenigen Tagen erneut von Alijews Truppen militärisch bedrohten Nachbarland Armenien fällt dementsprechend mager aus (Zeitung vom 16.2.2024).

Stand bei Aserbaidschans Energieexporten, die ungefähr vier Fünftel seiner Exporterlöse ausmachen, lange Öl im Vordergrund, ist es seit dem Versuch der EU, sich unabhängiger von russischen Energieträgern zu machen, vor allem Gas, das Alijews vor über zwei Jahrzehnten von Papa Heidar Alijew geerbtes Regime zu einem »zuverlässigen Partner« der EU macht – so Kommissionschefin Ursula von der Leyen bei ihrem Besuch in Baku direkt nach dem russischen Einmarsch in die Ukraine vor bald zwei Jahren. Die deutsche Kommissionspräsidentin und Alijew unterschrieben ein Memorandum of Understanding (Absichtserklärung) über noch mehr Gasimporte aus Aserbaidschan: Ab 2027 sollen sie sich auf 20 Milliarden Kubikmeter pro Jahr mehr als verdoppeln. Seitdem fließt mehr und mehr Gas aus Baku Richtung EU.

Außerdem schielen Energiekonzerne aus EU-Europa längst auch auf Turkmenistan am Ostufer des Kaspischen Meeres. Auch dort stand in den letzten Jahrzehnten Öl im Vordergrund, aber auch in Turkmenistan, das ebenfalls autokratisch regiert wird, gibt es viel Gas. Ziemlich viel sogar, verfügt das Land doch über die viertgrößten Reserven der Welt – hinter Rußland, dem im Wertewesten nicht weniger verhaßten Iran und der Golfdiktatur Katar. Seit sich Aserbaidschan und Turkmenistan vor drei Jahren auf eine Kooperation geeinigt haben, ist auch Turkmenistan dem EU-Gasmarkt ein Stück nähergerückt. So wie aserbaidschanisches würde auch turkmenisches Gas auf dem Weg nach EU-Europa die Türkei passieren – und damit nicht zuletzt auch die Position des türkischen Staatschefs Recep Tayyip Erdogan weiter stärken, der wiederum die Armee seines Busenfreundes Alijew erst in die Lage versetzt hat, Nagorno-Karabach mit modernem türkischen Kriegsgerät wie unter anderem Drohnen zu erobern.

Und als wäre das noch nicht genug, kritisieren auch Klima- und Umweltschutzorganisationen wie unter anderen Greenpeace den geplanten Ausbau der Gasinfrastruktur zwischen dem Kaspischen Meer und der EU. Sie haben in einer wissenschaftlichen Studie aufgezeigt, daß bei Förderung und Transport von Erdgas große Mengen unkontrolliert austreten und damit die Klimakrise weiter anheizen. Das deutsche Umweltbundesamt geht davon aus, daß Methan, aus dem Erdgas zu rund 90 Prozent besteht, in einem hundertjährigen Vergleichszeitraum einen bis zu 30-mal stärkeren, also negativeren Effekt auf das Weltklima hat als Kohlendioxid. Es reichen also schon geringe Mengen aus, um die Klimakrise weiter anzuheizen.