Ausland06. April 2024

Vorkriegsphase eingeläutet

Mit einem Konzept zur »Gesamtverteidigung« soll ganz Deutschland auf den großen Krieg vorbereitet werden

von Ralf Hohmann

Das Sitzungsprotokoll hielt es fest. Ganze 26 Minuten Zeit zur »Debatte« für die am 21. März spätabends noch im Bundestagsplenum anwesenden Abgeordneten. Die Drucksache 20/10476 stand auf der Tagesordnung. Das Thema »Bericht zur Risikoanalyse für den Zivilschutz« verhieß eher Langeweile. Doch die Vorlage, die eine halbe Stunde später an den Innen- und Verteidigungsausschuß »zur weiteren Beratung« überwiesen wurde, hatte es in sich.

Die inzwischen für überholt erklärte »Konzeption Zivile Verteidigung« (KZV) des Jahres 2016 wird überarbeitet und am Ziel der Kriegsertüchtigung im Rahmen einer »Gesamtverteidigung«, bestehend aus einem militärischen und einem zivilen Strang, ausgerichtet. Die Neukonzeption einer »wehrhaften Gesellschaft« wird für die nächsten Jahre das Schnittmuster neuer Gesetze und Verordnungen in den Bereichen »Aufrechterhaltung der Staats- und Regierungsfunktionen, Zivilschutz, (Not-)Versorgung der Bevölkerung und Unterstützung der Streitkräfte« bilden.

Das Ganze ist mehr als nur ein Planspiel. In einer Sprache, die keine Zweifel an der anstehenden Kriegsvorbereitung aufkommen läßt, beschreibt das 16-seitige Konzept das Programm der Umstellung sämtlicher gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Bereiche auf eine Weise, die den Anforderungen einer Vorkriegsphase entsprechen.

Koordiniert werden die Maßnahmen durch das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK) »in enger Abstimmung mit dem Territorialen Führungskommando der Bundeswehr (TerrFüKdoBw)«. Betroffen von der militärischen Ausrichtung sind unter anderem Gesetzgebung, Verwaltung, Rechtsprechung, Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung. Weiter geht es um die Umsetzung der Notstandsverfassung, um Evakuierungspläne, die »Bewältigung von CBRN-Schadensereignissen« (Einsatz chemischer, biologischer, radiologischer und Nuklear-Waffen) und logistische Problemstellungen bei der Lebensmittel-, Wasser- und Energieversorgung. Das »Arbeitssicherstellungsgesetz«, das praktisch umgesetzt werden soll, sieht als Teil der Notstandsgesetzgebung die Dienstverpflichtung von Arbeitskräften zur Sicherung von »Arbeitsleistungen bei der Bundeswehr und bei den verbündeten Streitkräften« vor.

Wie aus der Vorkriegsphase (»Phase I«), die von »Desinformationskampagnen« des Gegners zur Spaltung der Bevölkerung gekennzeichnet sei, der Krieg hervorgeht, teilt die Agenda der »Gesamtverteidigung« auch mit. Es komme zur Behinderung von »Truppenbewegungen innerhalb des NATO-Territoriums und insbesondere in Deutschland«, der »Aggressor« verfolge die Strategie, »den Aufmarsch von Streitkräften an der Ostflanke der NATO zu verzögern«. Schließlich werde in Phase III (»punktuelle Angriffe mit konventionellen Waffen und nicht konventionellen Mitteln«) der NATO-Bündnisfall ausgelöst, der wiederum in Phase IV (»Kampfhandlungen an Land, zur See sowie in der Luft auf deutschem Territorium«) münde.

Interessanterweise endet der Krieg »frühestens nach mehreren Monaten« mit einem »ausgehandelten Waffenstillstand«.

Der jüngste Vorstoß von Bildungsministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP), die Schulen zu Orten der Katastrophen- und Zivilschutzübungen zu machen und schnellstens ein »unverkrampftes Verhältnis zur Bundeswehr« zu entwickeln, ordnet sich nahtlos in das neue Zivilschutzkonzept ein. Doch gegen die Militarisierung des Schulwesens regt sich bereits Widerstand. »Was tue ich, wenn Bomben fallen. So ein von oben vorgegebenes Angstszenario möchten wir als Eltern nicht«, kritisierte die stellvertretende Vorsitzende des Bundeselternrats, Claudia Koch. Auch die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) quittiert die Idee, Jugendoffiziere als »Speerspitze der Öffentlichkeitsarbeit« einzusetzen, mit einem klaren »Nein«. Sie fordert zu »Aktionen gegen Werbeversuche der Bundeswehr« auf. »Die Schule ist kein Ort für die Rekrutierung von Berufssoldatinnen und -soldaten.«

Derweil kommt auch die im Mai 2023 von der Bundesregierung für die Truppe ausgerufene Imagekampagne »Was zählt?« trotz poppiger Plakate mit schneidigen Kampfpiloten nicht recht voran. Die Zahl der Uniformträger steigt nicht, sie sinkt: 181.811 waren es am 29. Februar dieses Jahres, 10.000 weniger als geplant und 2.000 weniger als zum Ende des Jahres 2022. Die mediale Dauerberieselung zum Thema »Bedrohung aus dem Osten« und das Gerede von der Kriegstüchtigkeit wollen nicht recht greifen.