Von der Nützlichkeit von Streiks
Der Streik ist ein verfassungsmäßiges Recht der Lohnabhängigen, um in der Auseinandersetzung mit dem Kapital ihre Interessen zu verteidigen und zum Beispiel höhere Löhne und bessere Arbeitsbedingungen zu erkämpfen oder Verschlechterungen zu verhindern. Aber das Recht zu streiken wurde durch Gesetz eingeschränkt und so stark eingeengt, dass es im Konfliktfall wie eine angezogene Handbremse funktioniert. Warnstreiks, mit denen die Lohnabhängigen noch während Kollektivvertragsverhandlungen Druck auf einen Unternehmer ausüben könnten, sind zum Beispiel illegal.
Seit es die sogenannte »Sozialpartnerschaft« gibt, die den Kapitalisten als »Partner« definiert, und nicht als Ausbeuter der Arbeitskraft der Lohnabhängigen, der sich mit allen Mitteln einen maximalen Teil des geschaffenen Reichtums aneignen will, gab es systematisch Bestrebungen, die Schaffenden von Streiks abzubringen, weil der Ausbeuter und der Ausgebeutete angeblich in einem Boot sitzen, und daher »Kompromisse« zwingend notwendig seien.
Weshalb die Gewerkschaft FLA, die nach dem Zweiten Weltkrieg gegründet wurde und bis in die 1960er Jahre aktiv war, bevor sie mit dem LAV (der spätere OGBL) fusionierte, vom Patronat so gehasst wurde, war weniger aus ideologischen Gründen und weil sie als »kommunistisch« galt, sondern weil sie den Streik ganz gezielt einsetzte, um auf Betriebsebene, damals in der Stahlindustrie, möglichst große Lohn- und deutlich bessere Arbeitsbedingungen durchzusetzen. Das aber war Sand im Getriebe der Profitmaximierung.
Diese »wilden Streiks« waren vom Patronat so gefürchtet, weil die Gewerkschaft, die Verhandlungen mit dem Patronat nicht ablehnte, parallel zu Lohnverhandlungen aber zu Arbeitsniederlegungen aufrief, um den Forderungen der Arbeiter Nachdruck zu verleihen. Das wurde als »FLA-Methode« bekannt und mit großem Erfolg praktiziert, bis die Stahlherren die Gewerkschaft mit Zustimmung der Regierung und der Gewerkschaften LAV und LCGB von den Kollektivvertragsverhandlungen ausschlossen.
Um dem Patronat den Klassenkampf von oben zu erleichtern, wurde gleich anschließend das Kollektivvertragsgesetz im Rahmen der »Sozialpartnerschaft« grundlegend »reformiert«. Im Interesse des Kapitals wurden kurzfristige Arbeitsniederlegungen unmöglich gemacht, und lange Verhandlungswege und Schlichtungsprozeduren wurden vorgeschrieben, mit dem Ziel, die Lohnabhängigen zu zermürben. So kam es, dass infolge der »Sozialpartnerschaft« bei den neuen Generationen von Lohnabhängigen die Nützlichkeit von Streiks bei der Durchsetzung von Forderungen der Lohnabhängigen weitgehend in Vergessenheit geriet.
Die durch die Dominanz des Finanzkapitals und Krisen eingeschränkte Manövrierfähigkeit des Industriekapitals, die zu schärferen Gegensätzen zwischen Kapital und Arbeit führen, könnte dazu beitragen, dass sich das schnell ändern wird. Denn man streikt ja nicht, um zu streiken, sondern um Forderungen durchzusetzen.
Im September dieses Jahres haben den Beschäftigten von Cargolux drei Tage Streik genügt, um ihre Forderungen durchzusetzen und das zu erreichen, was in fast einjährigen Verhandlungen nicht machbar war.
Möglich wurde das durch die Solidarität, die gegenwärtig auch bei Ampacet dazu führen kann, dass der Angriff auf den Kollektivvertrag abgewehrt und die Forderungen der Beschäftigten trotz der Wild-West-Methoden des Patronats mit Erfolg durchgesetzt werden können.