Ausland

Ein Jahr danach

Die Anhänger von Präsident Obama stehen vor einem Trümmerhaufen aus unerfüllten Versprechungen

Ein Jahr nach der feierlichen Amtseinführung Barack Obamas, der ein Höhenrausch mit traumhaften Umfragewerten folgte, ist der Supermann in den Niederungen der Realpolitik gelandet.

Das Datum ist ironisch : exakt ein Jahr nach dem 20. Januar 2009 könnte eine regionale Nachwahl im Bundesstaat Massachusetts zu Obamas Sargnagel werden – für die Gesundheitsreform und für Obamas eigene Präsidentenkarriere. Denn wenn die Demokraten den Sitz des verstorbenen Senators Edward Kennedy verlieren, fehlt ihnen die nötige Mehrheit von 60 Sitzen im Washingtoner Oberhaus, dem Senat. Damit könnten die rechten Republikaner das Reformwerk mit sogenannten Filibustern (Endlosreden) sabotieren.

Eine erfolglose Gesundheitsreform wäre für den Präsidenten, der von der Mehrzahl der Wähler unter anderem wegen seines Versprechens auf eine bezahlbare Krankenversicherung ins Amt gewählt worden war, eine politische Schmach sondergleichen. Vor einem Jahr hätte niemand gedacht, daß Oba-ma sich in die Niederungen der Regionalpolitik und dann ausgerechnet in eine traditionelle Hochburg der eigenen Partei begeben müßte. Aber am Montag flog der Präsident tatsächlich nach Boston. In einer Rede drängte er die Wähler, die demokratische Kandidatin Martha Coakley zu unterstützen. Im Umfragen führt der Republikaner Scott Brown mit zwei bis vier Prozentpunkten. Gewinnt der Rechte, dann bricht er die Vorherrschaft der Demokratischen Partei, die dort mit Edward Kennedy seit 47 Jahren scheinbar unumstößlich dominierte. Außerdem wäre der Erfolg weiterer Reformvorhaben noch deutlicher in Frage gestellt, zum Beispiel die Finanzmarkt-Regulierung.

Sturzflug in Umfragen

So oder so sind die Popularitätswerte Obamas in weiten Teilen der Bevölkerung stark gesunken. Nur noch 46 Prozent befürworten seine Amtsführung laut einer Umfrage des Fernsehsenders CBS. Dabei war er bei seinem Amtsantritt einer der beliebtesten Präsidenten aller Zeiten. »ABC News« und die »Washington Post« ermittelten, daß 52 Prozent der Meinung sind, Obama habe in den zwölf Monaten seit der Amtseinführung »nicht viel, wenig oder gar nichts« erreicht.

Obamas Sturzflug in den Umfragen erklärt sich zum großen Teil, aber nicht gänzlich aus der schweren Wirtschaftskrise. Obwohl er sie von seinem Vorgänger Bush geerbt hatte, wird er als mangelhafter Manager dafür verantwortlich gemacht – bei 15 Millionen offiziell Arbeitslosen und vielen Millionen Unterbeschäftigten und mies Bezahlten kein Wunder. Dabei fällt die wirtschaftspolitische Bilanz, die Experten mit dem Hinweis »es hätte schlimmer kommen können« anstellen, keineswegs vernichtend aus. Der sozialdemokratisch orientierte Wirtschaftskolumnist der »New York Times« Paul Krugman schrieb beispielsweise, ohne das 700-Milliarden-Dollar-Konjunkturprogramm würde die Arbeitslosigkeit »viel höher ausfallen« . Das Konjunkturprogramm sei »zu klein, die Politik gegenüber den Banken zu zaghaft« gewesen, meint Krugman.

Die Wochenzeitschrift »The Nation« veröffentlichte anläßlich der ersten Obama-Amtsjahrs mehr als ein Dutzend Beiträge bekannter USA-Linker und -Liberaler, die jeweils eine kurze Bilanz zogen. Außenpolitisch waren die Einschätzungen weitgehend negativ, in punkto Wirtschafts- und Sozialpolitik durchwachsen. Die Beobachter gaben sich mehrheitlich »wenig überrascht« über den Mitte-Rechts-Kurs des Weißen Hauses. Obama habe sich schon zu seinen Chicagoer Zeiten als jemand gezeigt, der sich gerne in die politische Mitte stellt und im Zweifelsfall lieber Bündnisse mit rechts von ihm Stehenden eingeht, schrieb beispielsweise der Politikprofessor Adolph Reed.

Interventionistische Außenpolitik

Auch bei den Hilfeleistungen für Haiti werden inzwischen immer mehr Zweifel an der »Selbstlosigkeit« Wa-shingtons laut. Die USA-Regierung hatte »humanitäre Hilfe« in Höhe von 100 Millionen Dollar angekündigt, einen Flugzeugträger und eine Kompanie der »82nd Airborne Division« nach Haiti geschickt. Am Montag trafen 2.000 weitere Marine-Infanteristen vor der Küste ein. Nach Presseberichten kontrollieren USA-Truppen den Flughafen von Port-au-Prince mehr schlecht als recht. Hunderte Tonnen von Hilfsgütern sollen festsitzen.

 »Ärzte ohne Grenzen« kritisierte, es gebe »wenig Anzeichen für eine signifikante Verteilung der Hilfe« . Der Sprecher der Organisation bemängelte die falsche Prioritätensetzung der USA. Es gehe den USA bisher mehr um die Sicherung der Flughafens und die Bedürfnisse des Militärs statt um medizinische Hilfe und Ausrüstung.

Wenigen linken Kritikern blieb es vorgehalten, auf die traditionelle interventionistische USA-Außenpolitik in ihrem »Hinterhof« hinzuweisen. Der in Miami lebende Journalist Yves Colon erklärte, die USA würden »in Krisenzeiten mit dem Fallschirm in Haiti abspringen und dann schnellstmöglich wieder abziehen« . Das Ziel bestehe darin, das »bloße Ausbluten zu verhindern« . Der Gründer des »Transafrica Forum« Randall Robinson zeigte sich enttäuscht, daß Obama ausgerechnet die Ex-Präsidenten Clinton und Bush zur Spendenkoordination aufgerufen hatte. »Bush war für die Zerstörung der haitianischen Demokratie 2004 verantwortlich« , sagte Robinson. Bush und US-Truppen hätten damals den Präsidenten Aristide nach Afrika entführt, während Clinton dem Land davor neoliberale »Reformen« oktroyiert habe. Clinton habe Haiti eine »Sweatshop-Wirtschaft« aufgebürdet. Das Armenhaus der Karibik wurde seitdem mit agrarindustriellen Produkten aus den USA überschwemmt – was die Binnenproduktion von Lebensmitteln massiv einschränkte und den Zusammenbruch der heimischen Landwirtschaft beschleunigte.

Max Böhnel, New York