Leitartikel22. Dezember 2023

Denn sie säen Wind und werden Sturm ernten

von Ali Ruckert

Wenige Tage bevor die Renten zum 1. Januar 2024 aufgrund des »Ajustement« um 1,1 Prozent an die Lohnentwicklung der vorangegangenen zwei Jahre angepasst werden, wärmte die neue CSV-Gesundheits- und Sozialministerin die »Rentenmauer« wieder auf. Ab 2042 würden die Reserven der Rentenkasse nicht mehr ausreichen, weshalb es verantwortungslos sei, würde man gegenwärtig nichts unternehmen, behauptete sie.

Anders als der römische Hadrianswall in Britannien und die Chinesische Mauer, hat die Luxemburger »Rentenmauer« keinen Altertumswert. Sie wurde erstmals im Jahr 1997 vom Parteikollegen der derzeitigen Gesundheits- und Sozialministerin, Premierminister Jean-Claude Juncker, in seiner Regierungserklärung virtuell errichtet.

Auch wenn sie nicht real war, ermöglichte das Märchen von der »Rentenmauer« den Regierenden, die Lohnabhängigen während der nachfolgenden Jahre glauben zu machen, strukturelle Erhöhungen seien nicht möglich, und die Renten seien langfristig nicht abgesichert.

Die »Rentenmauer« wurde auch vorgeschoben, als die CSV und die LSAP, von der heute manche das Gerücht verbreiten, sie gehöre zu den »progressiven Kräften«, im Jahr 2012 beschlossen, das »Ajustement« von 1,5 Prozent zum 1. Januar 2013 nicht an die Rentner auszubezahlen, und eine Rentenverschlechterungsreform durchzuführen, die unter anderem zur Folge hat, dass junge Menschen länger arbeiten müssen, um weniger Rente zu bekommen.

Mehr als 10 Jahre später denkt die neue Rechtskoalition von CSV und DP, kaum im Amt, laut über eine weitere Rentenverschlechterungsreform nach. Deren Überlegungen gehen keineswegs in die Richtung, das öffentliche Rentensystem zu stärken und neue Geldquellen zu erschließen, um die Rentenleistungen abzusichern.

Das erklärt, dass die neue Ministerin, die bereits fleißig übt, nach der Pfeife des Patronats zu tanzen, erst gar nicht über Beitragserhöhungen reden will, geschweige denn über eine Umverteilung der Resultate der Arbeitsproduktivität, die es ermöglichen würde, die Mindestrente genannten Hungerrenten ein für alle Mal abzuschaffen und das öffentliche Rentensystem generell noch zu verbessern.

Hier geht es vielmehr darum, das bewährte öffentliche Rentensystem zu verschlechtern beziehungsweise auszuhöhlen.

Es entspricht der klassischen neoliberalen Vorgehensweise, die Schaffenden einerseits zu drängen, länger zu arbeiten, um überhaupt bisherige Rentenansprüche wahrnehmen zu dürfen, und andererseits sie zu zwingen, auf private Rentenversicherungen zurückzugreifen, um ihren Lebensabend finanziell abzusichern. Wer dazu nicht in der Lage ist, aber nicht in Armut versinken will, darf versuchen, sich bis ins hohe Alter mit Gelegenheitsjobs über Wasser zu halten. Und sowas nennt sich dann »christlich« und »sozial«!

Hier gilt es, wie in ähnlich gelagerten sozialen Fragen, den Anfängen zu wehren und der Rechtsregierung deutlich zu machen, dass die Schaffenden und ihre Organisationen einen solchen Angriff auf das öffentliche Rentensystem nicht hinnehmen werden. Die zwei Regierungsparteien, allen voran die CSV, sollten wissen, dass sie in diesem Fall ganz schnell Sturm ernten werden, wenn sie nicht aufhören sollten, Wind zu sähen.