Wettbewerbverzerrung, Genmanipulation und Pflanzengifte
Viele Vorbehalte gegen Freihandelsabkommen mit Mercosur
Das zwischen der Europäischen Union und dem südamerikanischen Staatenbund Mercosur ausgehandelte Freihandelsabkommen stößt in Frankreich auf mehr Skepsis und Ablehnung als auf hoffnungsvolle Erwartungen. Die nach 20-jähriger Dauer Ende Juni abgeschlossenen Verhandlungen zwischen der EU und den Mercosur-Ländern sollen den Weg zu einer der größten Freihandelszonen der Welt öffnen. Die EU, die 512 Millionen Einwohner zählt, hat 2018 Waren im Wert von rund 45 Milliarden Euro in die vier wichtigsten Mercosur-Länder Argentinien, Brasilien, Paraguay und Uruguay mit ihren 260 Millionen Einwohnern exportiert, während für knapp 43 Milliarden Euro Güter den umgekehrten Weg nahmen. Dieser Handelsaustausch soll durch die Senkung oder den Wegfall von Zöllen ausgebaut werden.
Doch bevor das Abkommen in Kraft treten kann, was erst in einigen Jahren der Fall sein dürfte, muß es durch die Regierungen aller EU-Mitgliedsländer und dann durch das EU-Parlament ratifiziert werden. Selbst Präsident Emmanuel Macron, der das Abkommen prinzipiell begrüßt, will mit Blick auf französische Interessen »wachsam« bleiben und eine Kommission zur »unabhängigen Untersuchung und Bewertung« berufen. Der Fraktionsvorsitzende seiner Bewegung En marche im Pariser Parlament, Gilles Le Gendre, geht noch einen Schritt weiter und erklärt: »So wie es jetzt ist, werden wir das Abkommen nicht unterzeichnen.«
Frankreich als Europas größter Agrarproduzent und -exporteur ist unmittelbar davon betroffen, daß dem Abkommen zufolge die Mercosur-Länder jährlich je 180.000 Tonnen Geflügel und Zucker zollfrei und 99.000 Tonnen Rindfleisch mit einem auf 7,5 Prozent abgesenkten Zollsatz in die EU liefern können. Umgekehrt kann Frankreich künftig Wein, Champagner und Cognac zollfrei in die Mercosur-Länder liefern, wo bislang dafür zwischen 20 und 35 Prozent Zoll erhoben wurden. Im Ergebnis werden noch mehr Agrarerzeugnisse aus Südamerika als bisher, die durch die dort gezahlten niedrigen Löhne vergleichsweise billig sind, auf den Markt in den EU-Ländern drängen und hier den französischen Landwirten das Überleben immer schwerer machen.
Der Bauernverband FNSEA beklagt »unlauteren Wettbewerb« und verweist darauf, daß brasilianisches Rindfleisch 45 Prozent, Geflügel 50 Prozent und Zucker 30 Prozent billiger sind als die entsprechenden in der EU produzierten Erzeugnisse. Die EU-Politiker hätten sehenden Auges die Interessen der Landwirte geopfert, um der Autoindustrie, den Chemie- und Pharmakonzernen und anderen Industrien den Weg nach Südamerika zu ebnen.
Verbraucherverbände warnen, daß das Abkommen keine effizienten Sperrmechanismen gegen genmanipulierte oder pestizidbelastete Nahrungsmittel vorsieht. Umweltverbände und Politiker wie Yannick Jadot, EU-Abgeordneter der Partei der Grünen, prangern an, daß der rechtsextreme brasilianische Präsident Jair Bolsonaro, der seinen Wahlsieg nicht zuletzt der Großagrarier-Lobby verdankt, durch das Freihandelsabkommen Rückenwind bekommt für das großflächige Abholzen von Wäldern im Amazonas-Gebiet. Dabei seien sie von weltweiter Bedeutung für den Klimaschutz und die Artenvielfalt. Zudem hat Bolsonaro seit Januar schon 250 Pestizide genehmigen lassen, von denen die meisten in Europa wegen ihrer Gefahr für die Gesundheit von Bauern und Verbrauchern verboten sind.
Das Argument von Präsident Macron, daß sich Bolsonaro im Zusammenhang mit dem Freihandelsabkommen zur Respektierung des Pariser Klimaschutzabkommens von 2015 verpflichtet hat, ist für Jadot nicht überzeugend. »Bezeichnenderweise ist im Abkommen die Klausel über nachhaltige Entwicklung die einzige, die nicht verpflichtend ist und bei deren Nichtrespektierung keine Strafmaßnahmen drohen«, sagt der Grünen-Politiker. »Genauso unglaubwürdig ist die von Macron angekündigte Kommission zur Prüfung des Abkommens. Wie schon beim Abkommen EU-Kanada dient das nur zur Ablenkung der Öffentlichkeit.«
Ralf Klingsieck, Paris
LREM-Fraktionschef Gilles Le Gendre hält das Abkommen nicht für unterschriftsreif (Foto: EPA-EFE)