Bilaterale Beziehungen auf dem Tiefstpunkt
Algerien will Frankreich wegen Kolonialismus verklagen
Die Beziehungen zwischen Frankreich und Algerien sind wieder einmal auf dem Tiefstpunkt. Ihren Ausgang nahm die gegenwärtige bilaterale Krise vor fünf Jahren, als in einer schwach besetzten Nachtsitzung des Parlaments in Paris eine Aussage verabschiedet wurde, die unscheinbar in einem Gesetz über die Reform der Schulprogramme versteckt war. Es gelte, auch »die positiven Seiten der französischen Präsenz in den ehemaligen Kolonien« zu vermitteln, hieß es da.
Daß sich seinerzeit Präsident Jacques Chirac und seine Rechtsregierung nicht sofort davon distanziert und diese Aussage als Revisionismus und Beschönigung der französischen Kolonialvergangenheit verurteilt haben, sondern ihr sogar eine gewisse Berechtigung zuerkannten, hat man in Algier sehr übel genommen. Hinzu kam, daß seinerzeit ein Innenminister namens Nicolas Sarkozy bei seinem populistischen Kesseltreiben gegen die Kriminalität in den Vorstadtghettos nur zu oft Jugendliche nordafrikanischer Abstammung als Feindbild aufbaute.
Daß Sarkozy 2007 Präsident wurde, hat die Dinge nur noch schwieriger gemacht. Als er im Dezember 2007 bei einem Kurzbesuch in Algerien in einer Rede vom »ungerechten Charakter des Kolonialismus, seiner Ausbeutung und Unterdrückung« sprach, weckte dies zunächst Hoffnungen. Doch die wurden gleich wieder zunichte gemacht, weil der Präsident noch am selben Abend in Paris Vertreter der Verbände von »Pieds noirs«, ehemaliger französischer Siedler, und »Harkis«, algerischer Hilfskräfte der Kolonialarmee, im Elysée empfing und ihnen gegenüber seine Aussage relativierte.
Die negativen Folgen für die offiziellen Kontakte ließen nicht lange auf sich warten. Enge Vertraute des Präsidenten wie der seinerzeitige Innenminister Brice Hortefeux und der Einwanderungsminister Eric Besson waren und sind wegen ihrer ausländerfeindlichen Haltung in Algier »unerwünschte Personen«. Andere Minister werden bei Besuchen nur von subalternen Beamten empfangen. Auch die Handelsbeziehungen leiden darunter. Noch ist Frankreich Algeriens wichtigster Handelspartner und umgekehrt ist Algerien Frankreichs fünftgrößter Partner außerhalb der EU, doch das könnte sich schon bald ändern.
Als in höchstem Maße diskriminierend empfand man es auch, daß Algerien von den französischen Sicherheitsbehörden insgeheim auf eine »schwarze Liste« terrorverdächtiger Länder gesetzt wurde.
Doch das Kernproblem ist und bleibt die unbewältigte Kolonialvergangenheit. Nicht nur der algerische Präsident Abdelaziz Bouteflika und seine Regierung, sondern auch die Öffentlichkeit erwarten von Frankreich seit langem ein offizielles Eingeständnis der Schuld und eine Entschuldigung für das verursachte Leid. Doch dazu sind Sarkozy und die mit ihm regierenden rechten Politiker nicht bereit. Von ihnen werden nur zu oft noch die Gewaltakte der Unabhängigkeitskämpfer gegen den Terror der Kolonialarmee aufgerechnet und die Vertreibung der französischen Siedler gegen die Unterdrückung und Ausbeutung der algerischen Bevölkerung.
Außenminister Bernard Kouchner meinte kürzlich in einem Interview, dieser »gordische Knoten« ließe sich wahrscheinlich erst durchschlagen, wenn in Algier die gegenwärtige Generation der mit der Unabhängigkeit an die Führung des Landes gekommenen Politiker aus Altergründen abgetreten sein wird. Die unmittelbare Folge dieser diplomatischen Instinktlosigkeit war, daß sein geplanter Besuch, bei dem er eigentlich bilaterale Differenzen ausräumen wollte, wieder einmal von algerischer Seite auf unbestimmte Zeit verschoben wurde.
Statt dessen verbessern sich die Chancen für den Entwurf eines Gesetzes, der im Januar zunächst von populistischen Hinterbänklern im algerischen Parlament eingebracht wurde. Danach soll der französische Kolonialismus unter Anklage gestellt werden, bis hin zu Prozessen in Algier oder vor dem Internationalen Gerichtshof gegen französische Spitzenpolitiker, die seinerzeit Verantwortung trugen, und zu Entschädigungsklagen in Milliardenhöhe. Ob dieser zunächst zurückgestellte Gesetzentwurf auf die Tagesordnung des Parlaments gesetzt wird, liegt ganz im Ermessen der Regierung in Algier und wird sich in allernächster Zeit entscheiden.
Ralf Klingsieck, Paris