Vor 80 Jahren
Palastrevolte gegen Mussolini
Antifaschisten in Italien verhinderten den Wandel in einen proalliierten Faschismus
Am 25. Juli 1943 stürzte in Italien eine Palastrevolte den faschistischen Diktator Benito Mussolini. König Vittorio Emanuele III., dessen Monarchie Mussolini zum Dank für die Schützenhilfe bei seinem Machtantritt 1922 nicht angetastet hatte, ließ den Diktator verhaften. Er übernahm den Oberbefehl über die Armee und beauftragt Marschall Pietro Badoglio mit der Bildung einer Militärregierung.
Zur Täuschung Hitlers versicherte Badoglio, Italien setze den Krieg fort. Insgeheim entsandte er jedoch General Giuseppe Castellano nach Lissabon zu Verhandlungen mit dem Anglo-amerikanischen Oberkommando über einen Waffenstillstand, dem am 13. Oktober die Kriegserklärung an Hitlerdeutschland und der Übertritt zur Antihitlerkoalition folgte. Nach der Bekanntgabe des Waffenstillstands am 8. September okkupiert die faschistische deutsche Wehrmacht Nord- und Mittelitalien.
Stalingrad
leitete die Wende ein
Äußere Triebkraft war vor allem das Scheitern der deutschen Aggressionspläne, das sich im Sieg der Sowjetarmee bei Stalingrad zeigte. Bis auf wenige tausend Mann wurde dort am Don auch die 230.000 Soldaten zählende »Armata Italiana in Russia« rücksichtslos verheizt. Ein Bericht des italienischen Generalstabs besagt, daß die Deutschen den Italienern während des schrecklichen Rückzugs in der verschneiten Donezsteppe »stets jegliche Hilfe versagten, sich aller verfügbaren Kraftfahrzeuge bemächtigten, unsere Verwundeten ohne Transportmittel, ohne Nahrungsmittel und ohne erforderliche Versorgung zurückließen«. Als der Bericht in Italien bekannt wurde, trug das zur wachsenden Antikriegsstimmung bei.
Die Erfolge der Sowjetarmee begünstigten die Siege der Truppen der westlichen Alliierten in Nordafrika. Als nach der Landung der Alliierten am 9. Juli auf Sizilien sich die 250.000 Mann starken deutsch-italienischen Verbände ergaben, brach die Krise des italienischen Faschismus offen aus. Zugleich begannen die Alliierten massive Bombenangriffe auf Turin, Mailand und Genua, die auf keine Luftabwehr stießen. Die Antikriegsaktionen, die im März 1943 mit 10.000 streikenden Arbeitern in der Rüstungsmetropole Turin begannen, weiteten sich aus.
Maßgebliche innere Bedingung war, daß die führenden antifaschistischen Kräfte mit der Italienischen Kommunistischen Partei (PCI) an der Spitze sich zum Sturz der Diktatur formierten. Die PCI hatte mit den Sozialisten 1934 ein Aktionseinheitsabkommen geschlossen, auf dessen Basis ein breites nationales antifaschistisches Bündnis entstanden war. Im September 1941 hatten Kommunisten, Sozialisten und linke Intellektuelle ein »Komitee gegen den Krieg« gebildet. Im Herbst 1942 kam ein »Komitee der nationalen Front« zustande. Die Antikriegsstreiks ließen die wachsende Rolle der Arbeiterklasse sichtbar werden.
Geheimtreffen mit Großindustriellen
Das Ende des Mythos von der »Unbesiegbarkeit« der Hitlerwehrmacht hatte unter den Trägern der faschistischen Diktatur zu der Erkenntnis geführt, daß der Krieg nicht mehr zu gewinnen war. Bereits im November 1942 war Marschall Badoglio in Mailand in der Wohnung des Schwerindustriellen der Eisen- und Stahlindustrie, Enrico Falck, mit führenden Großindustriellen und Größen der Faschistischen Partei zusammengetroffen, um ein Ausscheiden Italiens aus der faschistischen Achse zu erörtern.
Badoglio, der zur Schlüsselfigur der Palastrevolte wurde, war bis in die 30er Jahre ein rücksichtsloser Vertreter der Expansionspolitik Mussolinis. Während der Eroberung Äthiopiens 1935/36 setzte er auf Befehl Mussolinis das Giftgas Yperit ein, durch das zahlreiche der 275.000 Opfer des Feldzuges getötet wurden.1940 erkannte er jedoch die Grenzen der militärischen Möglichkeiten Italiens und sprach sich gegen den von Mussolini am 10. Juni erklärten Kriegseintritt aus. Im Dezember trat er als Generalstabschef zurück.
Unter den Teilnehmern des Geheimtreffens in Mailand waren Alcide De Gasperi von der oppositionellen Democrazia Cristiana (DC) und Mussolinis Schwiegersohn, Außenminister Graf Galeazzo Ciano, der beauftragt wurde, die Haltung der Regierungen der USA und Britanniens sowie des Vatikan über eine Neutralitätserklärung Italiens zu sondieren. Giovanni Battista Montini, der spätere Papst Paul VI., signalisierte Zustimmung, wenn »die innere Ordnung« beibehalten werde. Die US-amerikanische Zeitschrift »Life« charakterisierte das am 14. Dezember 1943 dann so, daß es den Palastverschwörern darum ging, »sich von Mussolini und den Deutschfreundlichen zu befreien, das System aber zu erhalten«, kurz gesagt, »einen Wandel vom prodeutschen zum proalliierten Faschismus« herbeizuführen.
Der Diktator
wird abgesetzt
Nach dieser, auch von den Alliierten signalisierten Zustimmung, setzte der faschistische Großrat am 24./25. Juli seinen »Duce« ab. Die Sitzung leitete Galeazzo Ciano, den Mussolini bereits im Februar 1943 als Außenminister abgesetzt hatte. Zur militärischen Absicherung ließ der an der Revolte beteiligte Chef des Generalstabs, Vittorio Ambrosio, eine Infanteriedivision vor den Toren der Hauptstadt Stellung beziehen.
Der Großrat stimmte mit 19 gegen sieben Stimmen bei einer Enthaltung für die Absetzung Benito Mussolinis als Oberbefehlshaber der Streitkräfte und seinen Rücktritt als Regierungschef.
Am 25. Juli um 17 Uhr empfing der König Mussolini und autorisierte diese Entscheidungen. Der »Duce« – der geplant hatte, den König aus dem Weg zu räumen – fügte sich. Vor dem Quirinal bat ihn ein Hauptmann der Carabinieri unter dem Vorwand der besseren Sicherung seines Schutzes bei möglichen Unruhen, in einen Krankenwagen zu steigen. Damit war der Diktator verhaftet und wurde auf den nordöstlich von Rom liegenden Gran Sasso in den Abruzzen festgesetzt.
Seitens der faschistischen Partei und ihrer Gliederungen regte sich keinerlei Widerstand. Der Sturz des »Duce« wurde von der Bevölkerung jubelnd begrüßt. In einigen Großstädten des Nordens wurden faschistische Parteisitze und Zeitungsredaktionen, in Turin das deutsche Konsulat gestürmt. Zahlreiche faschistische Parteigrößen flohen nach Deutschland. Unüberhörbar wurde gefordert, die politischen Gefangenen freizulassen. Badoglio suchte zunächst, Kommunisten, Sozialisten und Anarchisten in den Gefängnissen weiter festzuhalten. Erst als Gewerkschafter, Kommunisten und Sozialisten dagegen einen Generalstreik ankündigten, hob er die Beschränkungen auf.
Gegen
Hitlerdeutschland
Die antifaschistischen Kräfte durchkreuzten die Pläne zur Aufrechterhaltung der faschistischen Diktatur. Nach Bekanntgabe der Kapitulation Italiens bildeten am 9. September 1943 auf Initiative der PCI die Oppositionsparteien – Kommunisten, Sozialisten, radikaldemokratische Aktionspartei, Christdemokraten und Liberale – ein »Komitee der Nationalen Befreiung«, das alle Italiener zum Kampf gegen die deutschen Okkupanten aufrief. Über 200.000 Soldaten und Offiziere leisteten der Hitlerwehrmacht Widerstand, erste Partisaneneinheiten entstanden.
Unter der deutschen Besatzung wurde derweil das Marionettenregime der Repubblica Sociale Italiana (RSI) installiert, an dessen Spitze der von einem deutschen Einsatzkommando aus dem Arrest auf dem Gran Sasso befreite Mussolini de facto die unterwürfige Rolle eines Gauleiters Hitlers spielte.
Im April 1944 traten die Parteien des Befreiungskomitees in die Regierung Badoglios ein, in der sie nach der Einnahme Roms durch alliierte Truppen am 4. Juni 1944 Badoglio zum Rücktritt zwangen. Unter dem Liberalen Ivanhoe Bonomi als neuem Ministerpräsidenten nahm die Regierung den Charakter einer „Regierung der nationalen Einheit“ an.
Grausame Rache
der Faschisten
Trotz der von ihnen verfolgten reaktionären Ziele leisteten die Verschwörer gegen Mussolini als Vertreter realistisch denkender Kreise der Bourgeoisie objektiv einen Beitrag zum Sieg über den Faschismus. Sie setzten dabei auch ihr Leben aufs Spiel.
Ein von Hitler geplantes Kommandounternehmen zur Liquidierung der Badoglio-Regierung scheiterte in letzter Minute. Mussolinis Schwiegersohn Graf Ciano wurde am 11. Januar 1944 hingerichtet. Die Tochter des Königs, Mafalda von Savoyen, ließ Hitler ins Konzentrationslager Buchenwald verschleppen, wo sie ums Leben kam.
Tausende italienische Soldaten und Offiziere, die der Hitlerwehrmacht Widerstand leisteten, wurden nach dem Ende der Kämpfe ermordet. Als sich über 600.000 nach Deutschland in Gefangenschaft verbrachte Soldaten weigerten, in der Salò-Republik an der Seite der Wehrmacht weiterzukämpfen, wurden 30.000 von ihnen umgebracht und mehr als 60.000 in deutsche Konzentrationslager verschleppt.
Als in Deutschland Thyssen, Krupp, die Chefs der IG Farben und andere Konzernherren Hitlers Heere weiter gen Osten trieben, beförderten in Italien der Gummikönig Pirelli, der Präsident des größten Bergbau- und Chemiekonzerns Montedison, Guido Donegani, und der Finanzgewaltige Giuseppe Volpi von der Banca Comerciale den Bruch mit der Achse Rom-Berlin. Während Feldmarschall Friedrich Paulus noch die Befehle Hitlers zur Eroberung Stalingrads befolgte, erörterte Marschall Badoglio bereits im November 1942 auf der erwähnten Zusammenkunft in Mailand das Ausscheiden Italiens aus dem Krieg.