Leitartikel14. Dezember 2016

Mehr als 56.000 Schaffende warten auf »strukturelle Verbesserung« des Mindestlohns

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Für das kommende Jahr, das aus Sicht der Gewerkschaften wohl nicht nur im Bausektor und im Pflegebereich heiß wird, hat der OGBL eine offensive Lohnpolitik, vor allem aber eine Steigerung des Drucks zur Durchsetzung einer »strukturellen Verbesserung« des Mindestlohns angekündigt.

Wie wichtig eine solche Maßnahme für mittlerweile mehr als 56.000 Schaffende wäre, die in Luxemburg mit dem Mindestlohn oder ein wenig mehr abgespeist werden, zeigt ein Blick in das aktuelle Sozialpanorama der Salariatskammer. Demnach lag der »Anteil der Schaffenden (ohne Funktionäre), deren Lohn im Bereich des Mindestlohns liegt«, im Jahr 2009 bei 15,2 Prozent.

Als sich die – noch längst nicht ausgestandene – kapitalistische Dauerkrise, die wie stets durch Arbeitslosigkeit, Überproduktion auf der einen und Unterkonsum der Schaffenden auf der anderen Seite geprägt ist, weiter verschärfte, stieg der Anteil der Niedriglöhner bis zum 31. März 2014 (das ist der aktuellste Wert) auf 16,5 Prozent.

Absolut waren das bereits 56.729 Schaffende, die mit dem Mindestlohn oder etwas mehr abgespeist wurden. Wobei 48.220 Niedriglöhner oder 85 Prozent laut Sozialpanorama einer Vollzeitbeschäftigung nachgingen.

Zu ähnlichen Befunden gelangt eine Studie zum Thema »Soziale Gerechtigkeit in der EU«, die kürzlich von der Stiftung des deutschen Medienriesen Bertelsmann veröffentlicht wurde. Demnach sind immer mehr Schaffende in der EU von Armut bedroht, obwohl sie einer Vollzeitbeschäftigung nachgehen. Galt dies 2009 für sieben Prozent der Werktätigen, so lag der Wert im vergangenen Jahr bei 7,8 Prozent.

Dieser Durchschnittswert wird von Luxemburg sogar noch übertroffen. Der Studie zufolge lag der Anteil der arbeitenden Armen in den Jahren 2014 und 2015 bei 10,0 Prozent, während er 2007 – also vor Verschärfung der kapitalistischen Krise – erst bei 8,7 Prozent gelegen habe.

Neben dieser Steigerung um 1,3 Prozentpunkte fällt auf, daß die »In-work Poverty Rate« nur in vier der 28 EU-Staaten höher ist als in Luxemburg, nämlich in Spanien, Polen, Griechenland und Rumänien.

Deutlich besser ist die Lage bei den Nachbarn: In Deutschland lag der Anteil der »working poor« im selben Zeitraum bei 6,3 Prozent, in Frankreich bei 5,9 und in Belgien sogar nur bei 3,5 Prozent. Für einen Schaffenden in Luxemburg war das Risiko, in Armut abzurutschen, demnach drei Mal so hoch wie für einen Schaffenden in Belgien.

Dementsprechend beklagt die Salariatskammer in jedem Sozialpanorama aufs Neue, Neueingestellte, Beschäftigte mit befristeten Verträgen und Teilzeitbeschäftigte könnten überdurchschnittlich oft nicht von ihrem Erwerbseinkommen leben. Anders als in den drei Nachbarländern, wo die Mindestlöhne deutlich über den jeweiligen Armutsgrenzen liegen, ist in Luxemburg so gut wie jeder alleinstehende Mindestlohnbezieher von Armut bedroht.

Es ist deshalb zu begrüßen, daß der OGBL in seiner Forderung nach einer »strukturellen Verbesserung« des Mindestlohns nicht nachläßt. Unverständlich ist jedoch, warum die im Privatsektor größte Gewerkschaft eine Erhöhung des Mindestlohns um »mindestens zehn Prozent« fordert, wo doch die Salariatskammer berechnet hat, daß er um mindestens 21 Prozent erhöht werden muß, damit er wirksam vor einem Abrutschen in die Armut schützen kann.

Oliver Wagner