Ausland04. Dezember 2009

Offener Brief von Michael Moore an Präsident Obama

Lieber Präsident Obama,

wollen Sie wirklich der neue »Kriegspräsident« werden? Wenn Sie in West Point ankündigen, daß Sie die Truppen in Afghanistan verstärken statt sie zurückzuziehen, dann sind Sie der neue Kriegspräsident. Einfach und klar. Und damit tun Sie das Schlechteste, was Sie tun können – Sie zerstören die Hoffnungen und Träume, die so viele Millionen Menschen in Sie gesetzt hatten. Mit nur einer einzigen Rede machen Sie eine Menge junger Leute, die das Rückgrat Ihrer Wahlkampagne waren, zu desillusionierten Zynikern. Sie bringen Ihnen bei, daß das, was man ihnen bisher gesagt hatte, der Wahrheit entspricht: daß alle Politiker gleich sind. (…)

Es ist nicht Ihre Aufgabe, das zu tun, was die Generäle Ihnen sagen. (…) Präsident Truman sagte zu General Mac­Arthur, als der in China einmarschieren wollte: »Sie sind gefeuert!« Und Sie hätten General McChrystal feuern müssen, als er der Presse verkündete, was Sie zu tun hätten. Ich sage Ihnen geradeheraus: Wir mögen unsere Jungs in den Streitkräften, aber wir hassen diese Generäle, von Westmoreland in Vietnam bis zu – ja bis zu Colin Powell wegen seiner Lügen vor der UNO mit den selbstgemachten Zeichnungen von Massenvernichtungswaffen (was er inzwischen zurückgenommen hat).

(…) Vor 30 Jahren hatten sowjetische Generäle die tolle Idee, in Afghanistan einzumarschieren. Nun, das hat sich als eine tödliche Idee erwiesen. Es gibt einen Grund dafür, daß Afghanistan nicht »Gartenstaat« genannt wird (obwohl man auf diesen Gedanken kommen könnte, wenn wir den korrupten Präsidenten Karsai sehen, den wir unterstützen, und seinen Bruder im Heroinhandel, der Mohnblumen anbaut). Ein anderer Name für Afghanistan ist »Friedhof der Imperien«. Wenn Sie das nicht glauben, rufen Sie doch mal die Briten an. Ich würde Ihnen auch empfehlen, Dschingis Khan anzurufen, doch leider habe ich seine Nummer nicht mehr. Die Nummer von Gorbatschow habe ich aber, es ist + 41 22 789 1662. Ich bin sicher, er könnte Ihnen einiges erzählen über die historische Fehlleistung, die Sie im Begriff sind zu vollführen.

Angesichts unseres wirtschaftlichen Kollaps, in dem wir immer noch tief stecken, und angesichts unserer jungen Männer und Frauen, die auf dem Altar der Arroganz und der Gier geopfert werden, wird diese große Zivilisation, die wir »Amerika« nennen, mit Vollgas in Richtung Vergessenheit gesteuert, wenn Sie ein »Kriegspräsident« werden. Imperien denken niemals daran, daß das Ende nah ist, bis das Ende da ist. (…)

Überlegen Sie gut, Präsident Obama. Sie wissen, daß das alles nicht so sein muß. (…) Sie wissen, daß nichts Gutes daraus werden kann, wenn Sie mehr Truppen um die halbe Welt schicken, an einen Ort, den weder Sie noch sie verstehen, um ein Ziel zu erreichen, das weder Sie noch sie verstehen, in ein Land, das uns nicht will. (…)

Ich weiß, daß Sie wissen, daß weniger als hundert Mann von Al-Kaida in Afghanistan übrig geblieben sind! Hunderttausend Soldaten sollen nun knapp hundert Typen in irgendwelchen Höhlen aufspüren? Meinen Sie das ernst? Ich kann das nicht glauben.

Ihre Entscheidung, den Krieg auszuweiten (und dabei zu sagen, daß Sie damit »den Krieg beenden« können) wird stärker in Stein gemeißelt werden als alle die großartigen Dinge, die Sie im ersten Jahr Ihrer Amtszeit gesagt und getan haben. (…)

Wir einfachen Menschen mögen Sie immer noch. Wir haben immer noch einen Schimmer der Hoffnung. Aber wir wollen nicht mehr mitmachen. (…)

Glauben Sie bitte nicht, daß das Verheizen von etwas mehr Soldaten in Afghanistan einen Unterschied macht, oder daß Sie sich damit den Respekt derer einhandeln, von denen Sie gehaßt werden. Die werden nicht ruhen, bevor dieses Land völlig zerrissen ist und auch der letzte Dollar aus den Armen herausgepreßt wurde und aus denen, die bald ebenfalls die Armen sein werden. Sie können eine Million Soldaten schicken, aber die Rechten werden niemals zufrieden sein. (…) Diejenigen, die Sie hassen, waren nicht die, die Sie ins Amt gewählt haben. Und Sie können diese Leute nicht für sich gewinnen, indem Sie den Rest von uns aufgeben.

Präsident Obama, es ist Zeit, nach Hause zu kommen. Fragen Sie Ihre Nachbarn in Chicago und die Eltern der jungen Männer und Frauen, die Sie in die Schlacht schicken und die dort umkommen, ob sie wollen, daß noch mehr Milliarden und noch mehr Soldaten in Afghanistan verheizt werden. Meinen Sie, diese Menschen werden Ihnen sagen: »Nein, wir brauchen keine Gesundheitsfürsorge, wir brauchen keine Arbeitsplätze, wir brauchen keine Wohnungen. Machen Sie weiter so, Mr. President, schicken Sie unseren Wohlstand und unsere Söhne und Töchter nach Übersee, denn wir brauchen sie hier nicht…«…?

Was würde Martin Luther King tun? Was würde Ihre Großmutter tun? Auf jeden Fall nicht noch mehr arme Menschen losschicken, um andere arme Menschen umzubringen, die ihnen nichts getan haben. Nicht noch mehr Milliarden und Billionen ausgeben für einen Krieg, während im eigenen Land die Kinder auf den Straßen schlafen und nach Lebensmittelspenden in der Schlange stehen müssen.

In den acht Jahren vor Ihrem Wahlsieg, den Sie uns zu verdanken haben, mußten wir erdulden, daß in unserem Namen Verbrechen begangen wurden: Folter, Verschleppungen, Verletzung sämtlicher Menschenrechte, Angriffe gegen Länder, die uns nicht angegriffen haben, Bombardierungen von Siedlungen, in denen Saddam sich versteckt haben »könnte« (und wo er niemals war), das Abschlachten von Hochzeitsgesellschaften in Afghanistan. Wir sahen zu, wie tausende irakische Zivilisten umgebracht wurden und zehntausende unserer jungen Menschen getötet wurden. (…)

Wir haben von Ihnen keine Wunder erwartet, nicht einmal sehr viele Veränderungen, aber wenigstens einige. Wir dachten, Sie würden das Elend beenden, das Morden anhalten. Mit der schwachsinnigen Idee brechen, daß Männer mit Gewehren eine Nation reorganisieren könnten, die nicht einmal als eine Nation funktioniert und niemals eine war. (…)
Sie sind jetzt am Ball. Sie müssen das alles nicht tun. Sie können Mut beweisen. Sie können der Sohn Ihrer Mutter sein. Wir hoffen auf Sie.

Ihr Michael Moore

MichaelMoore.com
Übersetzung: ZLV/bro