Ausland23. Mai 2024

Tod eines Präsidenten

Überlegungen zur weiteren Entwicklung im Iran und in der Region

von Karin Leukefeld

Der iranische Präsident Ebrahim Raisi ist bei einem Hubschrauberabsturz am Sonntag ums Leben gekommen. Mit ihm starben Außenminister Hossein Amir Abdollahian, der Leiter des Freitagsgebets in Täbris Ayatollah Mohammad Ali Al-e-Hashem, der Gouverneur der iranischen Provinz Ost-Aserbeidschan Malek Rahmati, der Leiter der Präsidentengarde Mehdi Mousavi und vier weitere Begleiter, darunter die Hubschraubercrew.

Der Absturz ereignete sich am späten Nachmittag bei schlechtem Wetter, Regen und Nebel, nahe der Grenze zu Aserbaidschan. Der Hubschrauberkonvoi war auf dem Weg nach Täbris. Zwei weitere Hubschrauber erreichten ihr Ziel.

Am Vormittag hatte Raisi – bei gutem Wetter, wie die Bilder zeigen – mit dem aserbaidschanischen Präsidenten Ilham Alijew den gemeinsamen Qiz-Qalisi-Staudamm eingeweiht. Anschließend besprachen sie bilaterale und regionale Entwicklungen. Beide Präsidenten vermerkten laut aserbaidschanischem Wortprotokoll, daß ihre Treffen und die Zusammenarbeit »von einigen« abgelehnt würden. Doch für den Iran und Aserbaidschan sei die Kooperation wirtschaftlich wichtig und für die Region bedeute dies Stabilität. Der gemeinsame Erfolg mache »unsere Freunde glücklich«, sagte Alijew, ohne konkret zu werden. »Diejenigen, denen das nicht gefällt, sollten sich besser um ihre eigenen Dinge kümmern.«

Das Hubschrauberwrack konnte erst am nächsten Morgen geborgen worden. Keiner der neun Passagiere hatte den Absturz überlebt.

Was bedeutet der Tod dieser iranischen Spitzenpolitiker angesichts der vielen politischen Spannungen für die Region? Wird die iranische Außenpolitik sich ändern?

Außen- und Sicherheitspolitik des Irans liegen in den Händen von Revolutionsführer Ali Khamenei und den Revolutionsgarden. Die aktuelle Außenpolitik ist eine strategische Entscheidung und wird sich kurzfristig nicht ändern. Seit der Islamischen Revolution 1979 war die Strategie der iranischen Außenpolitik »Weder Ost noch West«. Der Iran gehörte aus Überzeugung der Blockfreien Bewegung an.

Mit Amtsantritt von Ebrahim Raisi (2021) wurde aus den bisherigen Beziehungen beider Länder eine strategische Partnerschaft. China und Rußland wurden enge Partner des Iran. Sowohl Raisi als auch Außenminister Abdollahian waren starke Vertreter dieser Linie, zu der auch die Intensivierung der Beziehungen mit den Nachbarländern Aserbaidschan, Indien, mit den arabischen Golfstaaten gehört.

Seit Juli 2023 ist der Iran neuntes ordentliches Mitglied der Schanghai Koordination für Zusammenarbeit (Shanghai Coordination of Cooperation). Seit dem 1. Januar 2024 gehört der Iran dem Bündnis der BRICS-Staaten an. Zum gleichen Zeitpunkt wurden auch die Vereinigten Arabischen Emirate, Saudi-Arabien, Ägypten und Äthiopien aufgenommen. Die deutliche Wendung des Iran gen Osten hat auch mit den von den USA seit 45 Jahren verhängten Sanktionen gegen den Iran und mit den EU-Sanktionen zu tun. Die nationale wirtschaftliche Entwicklung des Iran wird vom Westen blockiert. China, Rußland und die internationalen Bündnisse mit dem »Globalen Süden« weisen dagegen Perspektiven auf.

Welche Folgen könnte der Tod von Raisi für die Aktivitäten so genannter pro-iranischer Milizen im Libanon, in Syrien und andernorts haben?

Die so genannten »pro-iranischen Milizen« im Irak, in Syrien, im Libanon und im Jemen werden auch als »Achse des Widerstandes« bezeichnet. Das bedeutet, man widersetzt sich dem Vormarsch, der Infiltration und Einmischung der USA und deren Partnerländer in der Region Westasien, also dem Nahen und Mittleren Osten, auch militärisch. Diese Strategie geht zurück auf die Zeit des dritten Irak-Krieges, der Invasion von USA, Britannien und einer Staaten der »Koalition der Willigen« in den Irak wegen angeblicher Massenvernichtungswaffen. Das war 2003. Es war ein von den USA geführter Krieg im Rahmen des »Krieges gegen den Terror« und er wurde ohne ein Mandat des UNO-Sicherheitsrates geführt.

Die »Achse des Widerstandes« ist für den Iran von strategischer Bedeutung. Manche sagen, der Iran will seinen Einflußbereich erweitern, manche sprechen sogar von »Besatzung«. Die Führung des Iran erklärt, ihr Engagement mit militärischen Partnern im Irak, in Syrien und im Libanon ist Teil der Politik der nationalen iranischen Sicherheit. »Sicherheit in Syrien bedeutet Sicherheit im Iran«, heißt es.

Die bewaffneten Gruppen und Milizen agieren heute weitgehend unabhängig vom Iran. Zwar hat der Iran mit seinen Revolutionsgarden diese Gruppen seit den 1980er Jahren – es war die Zeit des ersten Golfkrieges zwischen Iran und Irak (1980-88) – unterstützt, ausgebildet, bewaffnet. Doch inzwischen haben die Organisationen politische Parteien gegründet, sie haben nationale Interessen. Sie nehmen keine Befehle aus Iran an, sie stehen mit dem Iran im Dialog.

Allerdings gibt es in den jeweiligen Staaten – Irak, Syrien, Libanon, Jemen – politische Kräfte, die keinen Dialog mit dem Iran wollen, keine Kooperation. Sie bezeichnen den Iran als Besatzer und die bewaffneten Gruppen als »Marionetten« des Iran. Sie könnten die aktuelle Situation des Todes von Raisi und Abdollahian für eigene Interessen nutzen. Die Gegner des Iran – besonders ausgeprägt findet man sie im Libanon – könnten Unruhen, Proteste gegen das andere politische Lager organisieren und dabei vom politischen Westen, aus den USA und aus der EU, unterstützt werden.

Ebrahim Raisi wurde als ein möglicher Nachfolger für den Ali Khamenei, den obersten Revolutionsführer im Iran genannt. Könnte es zu Mächtkämpfen kommen?

Die Wahl eines Nachfolgers für Ali Khamenei ist Sache der religiösen Kreise, die mit allen wichtigen Klerikern besprochen werden muß. Regionale Kenner des Landes beschreiben diese religiöse und politische Elite als stark und gefestigt. Sie ist in der Lage, Widersprüche auszutragen und zu begradigen.

Spekulationen diesbezüglich gibt es vor allem außerhalb des Iran, vor allem in ausländischen Medien. Solche Spekulationen können zu Unruhen führen, zumal der Iran – nicht zuletzt wegen der Sanktionen der USA und der EU – seit Jahrzehnten in einer schweren wirtschaftlichen Krise steckt. Ein innerer Machtkampf nutzt nicht dem Iran, sondern Gegnern eines souveränen Staates Iran.

Die Beziehungen zwischen dem Iran, dem Westen und Israel sind angespannt. Ist es möglich, daß bei dem Hubschrauberabsturz womöglich eine Drittpartei eine Rolle gespielt hat?

Das kann nicht ausgeschlossen werden. Tatsächlich kursieren schon verschiedene Spekulationen auf Videokanälen im Internet. Israel, der israelische Geheimdienst, findet viele Wege und Handlanger, um direkt oder indirekt seinen Gegnern zu schaden. Israel hate bereits wenige Stunden nach Bekanntwerden des Absturzes offiziell dementiert, darin verwickelt zu sein.

Aber nichts ist klar, die iranische Armee hat mit der Untersuchung begonnen. Dazu gehört, daß Rußland unmittelbar nach Bekanntwerden des Hubschrauberabsturzes gegenüber dem iranischen Botschafter in Moskau die Unterstützung bei der Bergung und auch bei der Untersuchung der Absturzursachen zugesagt hat. Rußland ist da sehr erfahren und wird jeden Stein umdrehen. Das Ergebnis der Untersuchung muß abgewartet werden.