Ausland19. Februar 2010

Bomben, Blogs und kühne Sprüche

»Muschtarak«-Offensive in Afghanistan ist eine Medien-Show der NATO-Militärs

Die am vergangenen Wochenende in der südafghanischen Provinz Helmand gestartete NATO-Offensive – Codename »Muschtarak« (Gemeinsamkeit) – ist der erste große Test für die »neue Strategie« von US-Präsident Obama. Sie muß also zum Erfolg werden, selbst wenn sie in der Realität wenig bringt.

Rund 15.000 Soldaten – darunter 4.400 afghanische – sind an der größten Offensive seit gut acht Jahren beteiligt. Ziel ist es, die Rebellen aus der Region Mardschah, einem der größten Opium-Anbaugebiete der Welt, zu vertreiben.

Der bisherige Erfolg der Operation ist fragwürdig. Es gibt fast keine Angaben über getötete oder gefangene Taliban oder solche, die aufgegeben haben. Dafür steigt die Anzahl ziviler Opfer. In den ersten vier Tagen der Offensive sind mindestens 15 Zivilpersonen getötet worden. Die in der Provinz Kandahar durch Bomben getöteten fünf Zivilisten könne man – laut NATO – nicht »Muschtarak« zuordnen.

Insgesamt jedoch beherrschen Erfolgsmeldungen die westliche Berichterstattung. Die Bezirke Mardschah und Nad Ali würden fast ganz von seinen Truppenverbänden kontrolliert, sagte der afghanische General Aminullah Patiani, der offiziell den Einsatz der afghanischen und ausländischen Truppen führt. Patiani hat den gesamten Propaganda-Apparat der ISAF auf seiner Seite. Die Videos von »Muschtarak« sind an Harmlosigkeit nicht zu überbieten. US- und britische Soldaten steigen in Hubschrauber, landen, reichen Dorfältesten die Hand – genau so wie es die vor knapp einem Monat in London verabredete Strategie vorsieht. US-Soldaten – Familienväter – schreiben Internet-Tagebücher, sogenannte Blogs. Die per Internet verteilten ISAF-Fotos vermitteln, daß die gut ausgerüstete afghanische Armee das Heft des Handelns in der Hand hält. Anders als bei früheren Offensiven wolle man das »eroberte« Gebiet nicht räumen.

Niemand schießt, es gibt keine Toten – in den ISAF-Videos und auf deren Fotos. Es sei, so sagt General Abdul Rahin Wardak, Kriegsminister aus Kabul, nicht das Ziel, Rebellen zu töten. Sie müßten nur ihre Waffen niederlegen und sich dem Versöhnungsprozeß anschließen. Taliban-Sprecher Sabiullah Mudschahid widerspricht. Man leiste erfolgreich Widerstand. Nach Art der Guerilla feuern Aufständische auf die ISAF-Truppen, legen ihre Waffen ab, verwandeln sich in Bauern und gehen »friedlich« zu ihrem nächsten Waffenlager. Nachts überwinden sie die Linien der Alliierten und greifen dann in Gebieten an, die als gesichert galten.

Nicht nur US-Brigadegeneral Lawrence Nicholson meint, die Militäroperation könne noch 30 Tage dauern. Der britische Generalstabs­chef Jock Stirrup will den Erfolg des Einsatzes sogar erst in einem Jahr abschätzen. Man müsse die Einheimischen überzeugen, die Regierung in Kabul zu akzeptieren. Der neue Bundeswehr-Generalinspekteur Volker Wieker erwartet gleichfalls keine schnellen Erfolge und weigert sich daher, einen Zeitpunkt für den endgültigen Abzug der Bundeswehr zu nennen.

René Heilig