Politik der ethnischen Säuberung
Völkerrechtswidrige Zwangsräumung in Ostjerusalemer Viertel Scheich Dscharrah
Israel hat in der vergangenen Woche eine Gärtnerei und zwei Lagergebäude im Ostjerusalemer Stadtviertel Scheich Dscharrah zerstört, die einer palästinensischen Familie gehörten. Aus Protest hatte der Vater sich auf das Dach des nebenstehenden Hauses geflüchtet und gedroht, sich selbst und das Haus in Brand zu stecken, berichteten israelische und palästinensische Medien.
Die Jerusalemer Stadtverwaltung behauptet, die Gärtnerei sei illegal errichtet worden. »Das Gebiet ist für die Einrichtung von Klassenräumen und Kindergärten für Sonderpädagogik vorgesehen, die den arabischen Kindern des Viertels zugute kommen«, erklärte der Minister für Öffentliche Sicherheit, Omer Bar Lev, laut »Jerusalem Post«. Die Familie habe sich das dafür vorgesehene öffentliche Grundstück ohne Recht angeeignet, um darauf ihre Gärtnerei zu betreiben. Deshalb sei »nur die Gärtnerei« zerstört worden und nicht das Haus.
Vorerst. Laut Informationen der israelischen NGO »Peace Now« besteht auch für die beiden Wohnhäuser, die sich nebenan befinden, ein Räumungsbefehl. Dort leben zwölf Personen, darunter fünf Kinder. Die Familie wehrt sich juristisch gegen die Räumung. Bei einer Anhörung vor Gericht argumentiert die Familie, die Gemeinde plane, auf dem Grundstück ein jüdisches, religiöses Seminar zu bauen.
Auch der linke Knesset-Abgeordnete Ofer Cassif sieht das so: »Hier geht es um eine Politik der ethnischen Säuberung … So sehen Besatzung und Apartheid aus«, zitierte ihn die »Jerusalem Post«. Die Angelegenheit habe nichts mit dem Bau einer Schule zu tun. Cassif ist Abgeordneter der überkonfessionellen Demokratischen Front für Frieden und Gleichheit (Hadasch), der auch die Kommunistische Partei Israels angehört.
In der Tat nehmen ultraorthodoxe jüdische Nationalisten immer mehr Raum in Scheich Dscharrah für sich in Anspruch. Nach eigenen Angaben erhielt die palästinensische Familie in den vergangenen Jahren mehrfach Angebote zum Kauf des Grundstücks, die sie allesamt ablehnte. »Wir werden nicht erneut weggehen. Die Vertreibung meiner Familie wird sich nicht wiederholen«, erinnerte der Vater am Montag an die »Nakba« 1948, so die palästinensische Nachrichtenagentur MAAN.
Laut der offiziellen palästinensischen Nachrichtenagentur WAFA kaufte die Familie das Grundstück in den 1950ern, nachdem sie bei Israels Staatsgründung 1948 aus ihrem alten Haus in Westjerusalem vertrieben worden war. Als die Familie nach Scheich Dscharrah zog, stand Ostjerusalem noch unter jordanischer Verwaltung. Im Junikrieg 1967 eroberte Israel auch dieses Gebiet und hat es inzwischen völkerrechtswidrig annektiert.
Der Abriß der Gärtnerei stößt auf breite internationale Ablehnung. »Der andauernde Versuch, eine palästinensische Familie aus ihrem Haus in Ostjerusalem zu vertreiben, verstößt gegen das Völkerrecht und birgt die Gefahr einer weiteren Eskalation«, twitterte sogar der niederländische Botschafter in Israel, Hans Docter. »Es ist dringend notwendig, die Situation zu deeskalieren und eine friedliche Lösung zu finden«, schrieb Sven Kühn von Burgsdorff, EU-Beauftragter für die palästinensischen Gebiete, auf Twitter.
Das britische Konsulat, das sich direkt gegenüber dem Streitobjekt befindet, forderte die israelische Regierung im Namen des Vereinigten Königreichs über Twitter dazu auf, »solche Praktiken einzustellen, die nur dazu dienen, die Spannungen vor Ort zu erhöhen«. Konsulin Diane Corner wies darauf hin, daß Vertreibungen in besetzten Gebieten gegen das Völkerrecht verstoßen.
Die Gefahr einer Eskalation besteht durchaus: Bereits im Mai 2021 hatten Auseinandersetzungen in Scheich Dscharrah zu einem heftigen militärischen Schlagabtausch zwischen Israel und den islamistischen Organisationen Hamas und Islamischer Dschihad geführt.