Ausland28. Mai 2020

Die Meister der doppelten Standards

Deutscher Politiker bringt wegen des neuen Sicherheitsgesetzes in Hongkong Sanktionen gegen China ins Gespräch

Ein deutscher Politiker bringt mit Blick auf die Proteste in Hongkong EU-Sanktionen gegen China ins Gespräch. Die EU solle sich einen eigenen »globalen Sanktionsmechanismus« schaffen, um bei Bedarf »Sanktionen gegen chinesische Funktionsträger verhängen zu können«, fordert Reinhard Bütikofer (Bündnis 90/Die Grünen), Leiter der China-Delegation des EU-Parlaments. Auch weitere einflußreiche Grünen-Politiker plädieren für harsche Maßnahmen gegen Peking. Anlaß ist das neue Nationale Sicherheitsgesetz.

Mit Brandsätzen und Pfeilen

Auslöser für die Verabschiedung des neuen Nationalen Sicherheitsgesetzes für Hongkong sind die Proteste im vergangenen Jahr gewesen. Diese hatten sich zunächst gegen den Plan der Regierung in Hongkong gerichtet, die Auslieferung von Straftätern – darunter Mörder und korrupte Milliardäre – an die Volksrepublik oder an Taiwan zu ermöglichen. Nachdem das Vorhaben wegen der Proteste kassiert worden war, forderten die Demonstranten insbesondere den Rücktritt der Regierung sowie eine Untersuchung des Vorgehens der Polizei.

Dabei gingen viele Demonstranten mit äußerster Gewalt vor, zerstörten U-Bahn-Stationen sowie Geschäfte, versuchten Polizeiwachen in Brand zu setzen und griffen Unbeteiligte an, wenn sie nicht den einheimischen Dialekt, sondern Mandarin – die offizielle Sprache der Volksrepublik – sprachen. Einen Höhepunkt der Gewalt gab es, als Regierungsgegner im November Universitätsgebäude besetzten und Polizisten mit Brandsätzen, Pfeilen und selbstgebauten Katapulten attackierten.

Diesen Sonntag ist die Gewalt neu aufgeflammt: Demonstranten gerieten beim Bau von Barrikaden mit einem vorbeikommenden Rechtsanwalt in Streit, schlugen ihn mit Schirmen und Stöcken zu Boden und traten ihn krankenhausreif.

Das Nationale Sicherheitsgesetz

Das neue Gesetz, das am Donnerstag dem Nationalen Volkskongreß in Peking zur Verabschiedung vorlag, sieht vor allem vor, Umsturzbestrebungen, Separatismus, Vorbereitung und Ausführung terroristischer Akte sowie ausländische politische Einmischung in Hongkong unter Strafe zu stellen. Hintergrund ist nicht zuletzt, daß während der Proteste im vergangenen Jahr Aktivisten das Parlamentsgebäude gestürmt und verwüstet und dort britische Kolonialflaggen installiert hatten; andere hatten am Rande der Demonstrationen mit Vertretern von USA-Stellen beratschlagt.

Die Verabschiedung eines Gesetzes, das »Hochverrat, Sezession, Volksverhetzung, Umsturzbestrebungen gegen die Regierung der Volksrepublik« unter Strafe stellen soll, war – mit diesem Wortlaut – schon in Hongkongs Basic Law gefordert worden, das mit der Befreiung der früheren Kolonie aus britischer Herrschaft und ihrem Übergang in die Volksrepublik (»Ein Land, zwei Systeme«) zum 1. Juli 1997 in Kraft trat. Allerdings hat es die Regierung Hongkongs bis heute versäumt, ein entsprechendes Gesetz zu erarbeiten, obwohl es dabei um nichts Ungewöhnliches geht: Hochverrat, terroristische Aktivitäten und Ähnliches sind auch in westlichen Staaten nicht erlaubt. Nun holt der Nationale Volkskongreß nach den Gewaltprotesten von 2019 Hongkongs Versäumnis nach.

Machtkampf gegen China

Dabei gilt dieser Schritt in Peking auch deshalb als dringlich, weil die westlichen Mächte ihre Aggressionen gegen China im weltpolitischen Machtkampf massiv verstärken. Die USA intensivieren ihren Wirtschaftskrieg gegen die Volksrepublik; nach der Verschärfung der USA-Sanktionen gegen den Konzern Huawei, die darauf abzielen, ihn vollständig zu ruinieren, hat die USA-Administration Ende vergangener Woche Boykottmaßnahmen gegen eine Reihe weiterer chinesischer High-Tech-Unternehmen verhängt.

Die Beschuldigungskampagne, China sei verantwortlich für den Ausbruch der Covid-19-Pandemie, dauert an. Zudem rüstet Washington, während es Schritt um Schritt alle Rüstungskontrollverträge abschüttelt, systematisch gegen die Volksrepublik auf. Die EU wiederum hat – noch ein wenig gebremst durch das Interesse bedeutender Wirtschaftsfraktionen am Chinageschäft – die Volksrepublik zum »systemischen Gegner« erklärt; die Bundesrepublik Deutschland streckt rüstungs- und militärpolitisch ihre Fühler zu Chinas asiatisch-pazifischen Rivalen aus.

Hongkong gilt dabei als ein Hebelpunkt: Während Vorfeldorganisationen der USA-Außenpolitik seit Jahren dortige Regierungsgegner finanzieren, baut auch die deutsche Bundesregierung ihre Beziehungen zu diesen systematisch aus.

Sanktionen wie in Washington

Entsprechend protestieren auch deutsche Politiker lautstark gegen das Nationale Sicherheitsgesetz für Hongkong. »Der Respekt vor demokratischen Debatten und die Beachtung der Rechte und Freiheiten in Hongkong« seien »durch das Vorgehen Pekings gefährdet«, behauptet die Menschenrechtsbeauftragte der Bundesregierung, Bärbel Kofler. Die Fraktionsvorsitzende der Grünen im Bundestag, Katrin Göring Eckardt, forderte bereits am Wochenende Außenminister Heiko Maas auf, Chinas Botschafter ins Auswärtige Amt einzubestellen. Der deutsche Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses im EU-Parlament, David McAllister, erklärt, »die internationale Gemeinschaft« müsse sich »mit Nachdruck für die Freiheit von Hongkong« einsetzen. Reinhard Bütikofer (Grüne), Chef der China-Delegation im EU-Parlament, sagt, man müsse darüber nachdenken, »was es heißt, mit der Volksrepublik als systemischem Rivalen umzugehen«. Bütikofer hatte bereits im Februar die Gründung eines »Transatlantic China Caucus« verlangt und bringt nun Sanktionen gegen die Volksrepublik ins Gespräch. Man benötige »endlich einen EU-weit vereinbarten globalen Sanktionsmechanismus, um im Zweifelsfall Sanktionen wegen Menschenrechtsverstößen gegen ... chinesische Funktionsträger verhängen zu können«. Damit befindet sich Bütikofer auf einer Linie mit der Sanktionspolitik der Trump-Administration.

Der freie Westen

Die doppelten Standards, die sich in den Protesten deutscher Politiker ausdrücken, hat bereits im Herbst in exemplarischer Weise der FDP-Vorsitzende Christian Lindner offengelegt – unfreiwillig. Als die Regierung in Hongkong damals ein Vermummungsverbot einführte, um Straftäter besser identifizieren zu können, twitterte Lindner: »Das Tragen von Atemschutzmasken durch ein Vermummungsverbot zu verbieten, ist ein weiteres Beispiel der Repression in Hongkong – wir stehen an der Seite derer, die friedlich für ihre Freiheit auf die Straße gehen.« Offenkundig ist Lindner nicht bekannt gewesen, daß in der Bundesrepublik seit den 1980er Jahren ein striktes Vermummungsverbot gilt; es wurde damals von der Regierungskoalition aus CDU/CSU und FDP eingeführt.
Würden Hongkongs Demonstranten in Deutschland ebenso vermummt auf die Straße gehen wie in der südchinesischen Metropole, stünde ihnen allen eine schroffe Verurteilung bevor: Anders als in Hongkong, wo das Oberste Gericht das Vermummungsverbot im November außer Kraft setzte, gilt es in Deutschland (»freier Westen«) bei öffentlichen Kundgebungen weiterhin.

German Foreign Policy

Unermüdlicher Kämpfer für Freiheit und Recht: Reinhard Bütikofer (Bündnis 90/Die Grünen), Leiter der China-Delegation des EU-Parlaments (Foto: EPA-EFE/DAVID HECKER)