Ausland27. November 2021

Für ein neues Graz

Eine Kommunistin ist Bürgermeisterin

von Anne Rieger

»Wer hätte das gedacht, daß ich die erste Frau im Bürgermeisteramt meiner Heimat- und Lieblingsstadt werden würde, noch dazu als Mitglied der KPÖ, noch dazu als Tochter eines Schlossers. Wer hätte das gedacht, als ich in der Nähe der Triestersiedlung aufwuchs, dort, wo es damals noch Baracken gegeben hat? Ich jedenfalls nicht«, so Elke Kahr in ihrer ersten Rede als frisch gewählte Bürgermeisterin in Graz. 28 der anwesenden 46 Mandatare hatten ihr die Stimme gegeben.

Die Grüne Judith Schwentner wurde zur Vizebürgermeisterin gewählt, eine weibliche Doppelspitze, vielleicht eine Bresche für Frauenpolitik im konservativen Österreich. Mit den beiden wurden die Kommunisten Robert Krotzer und Manfred Eber als Stadträte vereidigt sowie zwei Stadträte von der konservativen ÖVP und eine Stadträtin von der rechtsliberalen FPÖ. Die sieben bilden entsprechend dem Wahlergebnis die Stadtregierung. Die SPÖ lag unterhalb der Schwelle, ist aber mit vier Mandataren Teil der Koalition.

Wenige Tage zuvor hatten KPÖ, Grüne und SPÖ den Koalitionsvertrag »Gemeinsam für ein neues Graz. Sozial – Klimafreundlich – Demokratisch« vorgestellt. Davor hatten die Mitglieder von KPÖ und Grünen jeweils zu 100 Prozent zugestimmt, bei der SPÖ mit 82 Prozent. Der Wille zur gemeinsamen Arbeit wird in der Präambel deutlich: »Unsere Parteien wurden von Menschen gegründet, die sich gegen Ungerechtigkeit und Ausbeutung gestellt haben und in der Tradition des Antifaschismus, der ArbeiterInnenbewegung, der Friedensbewegung, der Frauen- und der Umweltbewegung stehen. In ihrer Geschichte konnten sie vieles erreichen – für die arbeitenden Menschen, für die Gleichberechtigung und für unsere Umwelt.«

Der Koalitionsvertrag hat 21 Arbeitsschwerpunkte, auf 18 Seiten zusammengefaßt. Der KPÖ ist der Neubau von Gemeindewohnungen, die Verbesserung und der Ausbau der Wohnungsbeihilfe sowie die Ausweitung der Socialcard, Verbilligungen beim öffentlichen Verkehr und dessen Ausbau, soziale Ausgleichsmaßnahmen gegen Teuerung wichtig. Es soll wieder eine unabhängige Frauenbeauftragte geben, ein Maßnahmenpaket gegen Gewalt gegen Frauen und weitere Übergangswohnungen für sie. Die KPÖ übernimmt die Ressorts Finanzen, Gesundheit, Pflege sowie Arbeit und Beschäftigung.

Die Grünen übernehmen die Verkehrspolitik. Sie wollen die Innenstadt autofrei machen und unter dem Motto »Für jedes Kind ein Fahrrad« die Mobilität für die Jüngsten ermöglichen. Hinter dem Slogan »Jeden Tag ein Baum« versteckt sich, daß Graz grüner werden soll. Die SPÖ steht für Senkung der Kinderbetreuungsbeiträge, Leerstandserhebung, Transparenz bei Personalbesetzungen und Vergabe städtischer Aufträge.

Die Koalition wird bei der Parteienförderung und den Werbeausgaben der Stadt kürzen. »Es wird keine Prestigeprojekte geben, die dem Großteil der Bevölkerung nicht dienlich sind«, betonte Elke Kahr. Ein symbolischer Akt ist die Kündigung der Leasingverträge der teuren Dienst-BMWs, Kosten über 200.000 Euro im Jahr. Nicht nur symbolisch: Die jährliche, an die Inflation angepaßte Erhöhung der Gebühren auf Wasser, Kanal und Müllabfuhr wird für 2022 ausgesetzt.

Demokratie, Soziales und Klimaschutz sollen im Budget Vorrang haben. Das bedeutet Sicherstellung der kommunalen Grundversorgung in öffentlicher Hand, Ausrichtung der Wirtschaftsförderung nach sozialen, regionalen und ökologischen Kriterien, Stärkung von Klein- und Handwerksbetrieben und der Kreativwirtschaft. Bei Arbeit und Beschäftigung sollen städtische Beteiligungen eine Vorbildrolle einnehmen mit Maßnahmen gegen die »Teilzeitfalle« (z.B. Reinigung, Pflege, Kinderbetreuung), eine städtische Pflegeinitiative soll entstehen.

Selbstverständlich werden die KPÖ-Stadträte von ihren Einkommen weiterhin lediglich 2.000 Euro im Monat behalten, um den Sozialfonds zu füllen. Wem das zu karitativ ist, der sei an Dekrete der Pariser Commune erinnert. Dort wurde ein reduziertes Höchstgehalt in den Kommunalverwaltungen festgesetzt.

Seit den Wahlen setzt ein kontinuierliches KPÖ-Bashing in konservativen und »linksliberalen« Medien ein. Interessanterweise aber boten die Chefs von Industriellenvereinigung (IV) und Wirtschaftskammer in der Steiermark wenige Minuten nach der Vereidigung der »neuen Stadtregierung umfassende Zusammenarbeit an«. Am Tag nach der Wahl hatte der Geschäftsführer der IV noch gedroht, es sei »nicht förderlich für einen Wirtschaftsstandort, dessen Dynamik von privaten Investitionen abhängt, wenn eine Partei, die für Gemeineigentum steht, die stimmenstärkste Gruppierung stellt«.

All jene, die um die Oppositionskraft der Partei fürchten, seien daran erinnert, daß drei Wochen nach der Wahl der KPÖ-Arbeitskreis Gesundheit zu einer Kundgebung vor dem Landtag aufgerufen hatte, an der 400 Pflegekräfte teilnahmen, und daß am Tag der Präsentation des Koalitionsvertrages fast 2.000 Menschen auf Grazer Straßen für eine bessere Elementarpädagogik demonstrierten. An der Spitze die designierte kommunistische Bürgermeisterin Elke Kahr.