Vor 75 Jahren entstand der erste deutsche Nachkriegsspielfilm
»Die Mörder sind unter uns«
Berlin liegt in Trümmern, der Krieg ist erst seit einigen Monaten vorbei. Da fangen in der Sowjetischen Besatzungszone der zerstörten Stadt die ersten Dreharbeiten im Nachkriegsdeutschland an – mit Hildegard Knef. Noch heute ist »Die Mörder sind unter uns« ein spannendes Werk.
Im Mai 1945 wurde die deutsche Hauptstadt Berlin durch Einheiten der Roten Armee der Sowjetunion befreit. Am 1. Mai, dem Internationalen Kampf- und Feiertag der Arbeiter, hißten sowjetische Soldaten die rote Fahne auf dem Dach des von den deutschen Faschisten abgefackelten und während des Krieges zerstörten Gebäudes des Reichstags. Einen Tag später kapitulieren die letzten Einheiten der Wehrmacht in der völlig zerstörten Hauptstadt. In der Nacht vom 8. zum 9. Mai unterzeichnete der Chef des Oberkommandos der Wehrmacht in Berlin-Karlshorst die Urkunde über die bedingungslose Kapitulation der deutschen Truppen zu Lande, zu Wasser und in der Luft.
Die Städte des Landes waren zerstört. Trotzdem fiel weniger als ein Jahr später in Berlin die erste Klappe für den ersten Nachkriegsspielfilm: Am 16. März 1946 begannen die Dreharbeiten für »Die Mörder sind unter uns« – mitten in den Trümmern.
Gleich in den ersten Szenen wird das Ausmaß der Zerstörung deutlich gemacht. Der ehemalige Militär-Chirurg der Wehrmacht Dr. Hans Mertens (E.W. Borchert) läuft durch die Ruinen. Am Straßenrand liegen Berge von Steinen, von den Häusern sind nur noch einzelne Wände oder geisterhafte Strukturen übrig, die wie Mahnmale zum Himmel ragen. Mittendrin spielen Kinder.
Es ist allerdings keine Dokumentation, die Regisseur Wolfgang Staudte drehte. Er nutzte diese Anblicke vielmehr als stimmungsvolle Kulisse für seinen in Schwarz-Weiß eingefangenen Film – und als Symbol für die kaputten Menschen, die dort leben. Staudte zeigt Männer, die im Krieg einen Arm oder ein Bein verloren. Und er erzählt von Menschen, die innerlich gebrochen sind.
Einer von ihnen ist Dr. Mertens. Er wird von seinen Kriegserlebnissen verfolgt und versucht, seine Erinnerungen mit Alkohol zu betäuben. Er lebt in der Wohnung von Susanne Wallner (Hildegard Knef). Sie hat die Haft in einem der Konzentrationslager der Nazis überlebt, eine der vielen aus politischen Gründen Inhaftierten und Gequälten, und ist nach der Befreiung nach Berlin zurückgekehrt. »Ich hatte Angst vor der Freiheit, Angst vor den Menschen«, sagt sie. »Es ist schwer zu vergessen.« Sie wolle »endlich einmal leben«.
Diese beiden verlorenen und traumatisierten Seelen werden zu einer Schicksalsgemeinschaft. Beide haben die Jahre der Naziherrschaft überlebt, sind aber nicht wirklich am Leben. Als Dr. Mertens dann noch einen »Kriegskameraden«, einen ehemaligen Hauptmann der Wehrmacht wiedertrifft, der im Krieg Dutzende Zivilisten erschießen ließ, will er den Mann umbringen.
Selbstjustiz, die Täter von einst zur Rechenschaft ziehen, mit der eigenen Vergangenheit und dem in zwölf Jahren Naziterror Erlebten zurechtkommen, und einen Neuanfang schaffen – all diese Themen spricht Regisseur Staudte in dem auf 35 Millimeter gefilmten »Die Mörder sind unter uns« an. Während gegen die Hauptschuldigen, die Kriegsverbrecher an den Schreibtischen der Macht, sich in Nürnberg vor einem internationalen Tribunal verantworten müssen, stellt Drehbuchautor und Regisseur Wolfgang Staudte die Frage, wie mit all den anderen Leuten umzugehen ist, die sich an der Front und im Lande selbst großer und kleiner Verbrechen schuldig gemacht haben.
Dabei sind auch die filmischen und stilistischen Mittel spannend: Bilder des zerstörten Berlin unterlegt Wolfgang Staudte mit fröhlicher Klaviermusik, in die dunkle, bedrohliche Melodie einfließt. Die Anspannung ist so von Anfang an zu spüren.
Die Kamera ist dabei viel in Bewegung, filmt mal von schräg oben und springt dann plötzlich in die Nahaufnahme. Wolfgang Staudte spielt mit Schärfe und Unschärfe. Die Unruhe der Menschen und der Umbruch in der Gesellschaft werden auf diese Weise mehr als deutlich.
Premiere feierte der Film bereits im Oktober 1946 in der Sowjetischen Besatzungszone Berlins im Admiralspalast – kurz nach den ersten Urteilen im Nürnberger Prozeß gegen die Hauptkriegsverbrecher. Erst am 10. April 1947 folgte in Baden-Baden die erste Aufführung des Films in den westlichen Besatzungszonen. In der DDR wurde der Film auch im »Versuchsprogramm« des Fernsehens am 1. November 1955 gesendet, TV-Zuschauer in der Bundesrepublik Deutschland konnten ihn zum ersten Mal erst am 18. Dezember 1971 im Programm der ARD sehen.
Auch und gerade 75 Jahre nach den Dreharbeiten lohnt es sich, »Die Mörder sind unter uns« anzuschauen. Nicht nur, weil es ein wichtiges Stück deutscher Filmgeschichte ist, sondern weil er wichtige Fragen der deutschen Nachkriegsgeschichte behandelt. Immerhin ermöglicht das Werk zugleich einen ebenso authentischen wie mahnenden Blick zurück in die Geschichte und macht eindringlich die Folgen eines Krieges klar – bei der Zerstörung der Städte genauso wie für die Menschen.
Rückblickend lohnt es sich auch, darüber nachzudenken, warum ein solcher Film nur in der Sowjetischen Besatzungszone entstehen konnte, warum er erst ein halbes Jahr danach zum ersten Mal in den westlichen Zonen gezeigt wurde – Baden-Baden gehörte übrigens zur Französischen Besatzungszone – während sich die USA bis heute als die Macht darstellen, die angeblich mit größtem Eifer die Nazi-Verbrecher verfolgten, Interessant ist auch die Frage, warum ein solcher Film heute in deutschen TV-Kanälen nicht gezeigt wird.
»Die Mörder sind unter uns« ist auf DVD erhältlich bei Icestorm Entertainment.