Einigkeit durch Krieg
70 Jahre NATO
Hundert Milliarden US-Dollar sind nicht genug : Diese Auffassung hat USA-Präsident Donald Trump zum 70. Jahrestag der NATO-Gründung bekräftigt. Hundert Milliarden – das ist die Summe, die allein die europäischen Mitglieder des Kriegsbündnisses Ende 2020 zusätzlich in ihre Militärhaushalte gesteckt haben werden, seit sie 2016 begannen, die Ausgaben für die Streitkräfte rapide in die Höhe zu treiben. Dabei ist es nicht einmal so, daß Europas NATO-Länder in Sachen Rüstung im Weltmaßstab zurückfielen.
Zusammengenommen beliefen sich ihre Militäretats vergangenes Jahr auf 15,8 Prozent aller Militärausgaben weltweit ; nur die USA lagen mit 38,5 Prozent darüber. Rechnet man Kanadas Anteil hinzu, dann stammten mehr als 55 Prozent der globalen Aufwendungen für das Militär nur aus den Staaten des westlichen Kriegsbündnisses. Zum Vergleich : Moskau, das angeblich die NATO bedroht, leistete sich ein Militärbudget in Höhe von 3,8 Prozent der globalen Militärausgaben – ein knappes Viertel des Betrags, den allein die NATO-Staaten Europas verpulvern.
Die rasante Aufrüstung geht bei der NATO freilich einher mit heftigem inneren Streit. Da wäre nicht nur der Konflikt mit der Türkei, der aktuell für Schlagzeilen sorgt : Washington hat die Lieferung der bestellten F-35-Kampfjets an das Land gestoppt. Der Disput ist lediglich Ausdruck einer tiefer liegenden Entfremdung der nach mehr Eigenständigkeit strebenden Türkei ; manche spekulieren, ob das als Brücke in den Mittleren Osten und den Kaukasus strategisch hoch bedeutsame Land auf Dauer im Bündnis gehalten werden kann.
Da wäre aber auch der Konflikt zwischen Washington auf der einen, Berlin und Brüssel auf der anderen Seite : Das deutsche Streben, mit Hilfe der EU zur Weltmacht aufzusteigen, kommt bei der Trump-Administration bekanntlich gar nicht gut an. Die Vereinigten Staaten erhöhen also den Druck. Was soll man nun aber von Bündnispartnern halten, die sich gegenseitig mit Handelskriegen bedrohen ? Solide, verläßliche Einigkeit sähe anders aus.
Der innerimperialistische Konflikt, der sich zum 70. Gründungsjubiläum des Kriegsbündnisses zuspitzt, erhöht die Kriegsgefahr dabei wohl noch. Denn was ist, wenn das Bündnis weniger durch strategische Einigkeit, sondern gerade nur noch durch gemeinsame Feindbestimmungen, durch Kriegsvorbereitungen gegen Dritte zusammengehalten wird ?
Gegen Rußland vorzugehen – das ist es, was die NATO zur Zeit maßgeblich zusammenschweißt. Der verbindende Nenner besteht also in gemeinsamer Eskalation. Die Forderung, noch massiver aufzurüsten – laut Trump am besten sogar mit Militäretats in Höhe von mehr als zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts –, trägt dem Rechnung. Damit nimmt aber auch das Risiko, daß die waffenstarrenden Arsenale früher oder später gegen den proklamierten gemeinsamen Gegner eingesetzt werden, kontinuierlich zu.
Jörg Kronauer
Demonstration gegen die NATO in Washington am 30. März (Foto : AFP)