Ausland18. April 2023

Die Wende am Golf

Kürzung der Ölfördermengen signalisiert strategische Neuorientierung der OPEC-Plus-Staaten

von Klaus Wagener

Die OPEC-Plus-Staaten haben Anfang des Monats eine weitere Kürzung ihrer Ölfördermenge um 1,16 Millionen Barrel pro Tag (MMb/d) angekündigt. Zusammen mit den vorausgegangenen Reduzierungen erreichen die Produktionseinschränkungen damit einen Wert von 3,6 MMb/d. Die globale Ölfördermenge liegt bei etwa 101 MMb/d, die OPEC-Plus-Kürzungen betreffen also rund 3,6 Prozent.

Spektakulär ist weniger der Umfang der im Westen als überraschend wahrgenommenen Kürzungen, sondern die Einmütigkeit bei ihrem Zustandekommen. OPEC-Plus umfaßt 13 OPEC-Mitgliedsländer, dazu kommen zehn ölfördernde Nicht-OPEC-Staaten, unter ihnen Rußland. Diese 23 Staaten produzieren knapp 50 Prozent des weltweit gehandelten Rohöls und verfügen über mehr als 80 Prozent der nachgewiesenen globalen Ölreserven.

Die Biden-Regierung der USA hatte deutlich gemacht, daß sie eine Ausweitung der Ölproduktion und eine damit verbundene Senkung des Ölpreises durchsetzen will, um den Sanktions-Blitzkrieg gegen Rußland zu flankieren. Joseph Biden war im Juli 2022 zu diesem Zweck extra nach Riad gereist, hatte aber bei Kronprinz Mohammed bin Salman auf Granit gebissen – die OPEC-Plus-Staaten hatten stattdessen eine Kürzung ihrer Produktionsmenge beschlossen.

Ein weiterer Ölkrieg

Seither hat sich so etwas wie ein weiterer Ölkrieg entwickelt. Washington hat nach und nach seine strategischen Ölreserven auf den Markt geworfen, um den Preis zu senken. OPEC-Plus hält mit Kürzungen dagegen. Der Kampf ums Öl konnte bislang von den angloamerikanischen Mächten mit Hilfe ihrer Vasallen am Golf weitgehend dominiert werden. In den 1980er Jahren gelang es Washington, den Ölpreis mit Hilfe der Saudis von rund 80 US-Dollar pro Barrel auf rund 20 US-Dollar zu drücken und dadurch dazu beizutragen, die auf ihre Öleinnahmen angewiesene Sowjetunion zu ruinieren. Gegen Rußland sollte es jetzt ebenso laufen. Diesmal allerdings hält sich der Erfolg in Grenzen: Saudi-Arabien, die Golfstaaten und Iran haben sich nach Eurasien orientiert.

Fracking-Offensive der USA

Die Obama-Regierung weitete die unter Präsident George W. Bush eingeleitete Fracking-Offensive massiv aus. 90 Prozent aller neuen Öl- und Gasquellen in den USA sind heute Fracking-Quellen. Die Fracker wurden zu einem Problem der OPEC-Staaten. Die Saudis hatten wiederholt und erfolglos versucht, mit einer Niedrigpreispolitik diese Konkurrenz kleinzuhalten und auszuschalten. Washington hatte sich mit seinen Dollars schützend vor seine Fracker geworfen. Im vergangenen Jahr hat sich die Lage abermals gewendet: Nun ist es wiederum Washington, das mit dem Ausverkauf seiner Ölreserven den Ölpreis drücken will.

Die große Strukturkrise der neoliberal zugerichteten Staaten des Westens und die sich verschärfende Klimaschutzdebatte hatten den Golfstaaten klargemacht, daß ihr Geschäftsmodell, von dem sie ein Jahrhundert gut gelebt hatten, endlich ist. Das Nachdenken und die Planungen für eine Post-Öl-Ära nahmen Fahrt auf. Saudi-Arabien beispielsweise versucht unter Bin Salman mit der »Saudi Vision 2030« geradezu utopisch anmutende, hunderte Milliarden US-Dollar teure Projekte zu realisieren. Dazu ist viel Geld, sind also hohe Öleinnahmen notwendig. Den Golfstaaten wurde klar, daß sich ihre strategischen Interessen mit denen der Russischen Föderation deutlich überschnitten – sie alle brauchen einen hohen Ölpreis.

Die rechtsstaatliche Maske fallen lassen

Mit dem ökonomischen Blitzkrieg gegen Rußland, in dessen Rahmen dem Land Devisenreserven im Wert von 300 Milliarden US-Dollar gestohlen wurden, wurde Staaten mit hohen Reserven in US-Dollar wie Saudi-Arabien, aber auch China, drastisch vor Augen geführt, daß sie auf einer tickenden Zeitbombe sitzen und daß sich ihre hart erarbeiteten monetären Reichtümer mit einem Federstrich in Luft auflösen können.

Und wenn es noch eines Beweises bedurft hätte, daß man es bei den USA-dominierten NATO-Staaten mit mafiaähnlichen Strukturen zu tun hat, so haben die abrupte Zerstörung der Jahrzehnte bestens funktionierenden Fossilenergiegeschäfte mit Rußland und die Sprengung der Nord-Stream-Pipelines alle Zweifel beseitigt. Der »Wertewesten« hat die rechtsstaatliche Maske längst fallen lassen.

Die EU-Staaten verfügen nur über begrenzte eigene Rohöl- und Gaslagerstätten. Das ist die strategische Achillesferse Zentraleuropas und seiner Hauptmacht Deutschland seit gut einem Jahrhundert. Bis 2030, so die Schätzungen, wird die EU ihren Ölbedarf nur noch zu 5 Prozent aus der Nordsee decken können.

Mit dem Ukraine-Krieg ging auch die profitable Nachkriegskumpanei der EU-Staaten mit den USA zu Ende. Von den antirussischen Hardlinern in Berlin, Brüssel und London in die von Washington bereitgestellte Energiefalle geführt, bleibt ihnen in Zukunft keine andere Wahl, als die von den Golfstaaten oder den Frackern der USA diktierten ruinösen Preise zu zahlen.