Leitartikel15. Mai 2021

Ganz legale Steuertricks

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»Einer der schlimmsten Widersprüche unseres Steuersystems«, heißt es in einer Broschüre, mit der der OGBL vor der Coronakrise für ein – nach der Pandemie sicherlich noch wichtigeres! – Sozialpaket geworben hat, sei der, »der zwischen der Höhe der Lohnbesteuerung und der Besteuerung der Kapitaleinkünfte (Dividenden, Zinsen, Spekulationsgewinne, Stock-options u.a.m.) besteht«.

Doch nicht nur zwischen der von den Salariatsvertretern zu Recht zuvörderst kritisierten Verteilung der Steuerlast zwischen Kapital und Arbeit gibt es »schlimme Widersprüche«, auch sind die mickrigen Steuern von teilweise nur einem Prozent, die hierzulande international agierenden Großkonzernen abverlangt werden, ein schlechter Witz im Vergleich zu dem, was Kleinunternehmer, denen das Steueramt keine individuellen Abmachungen (»tax rulings«) im Vorfeld gewährt, berappen muß.

Als die EU-Kommission Luxemburg vor mittlerweile sieben Jahren vorwarf, es habe dem Amazon-Konzern des US-amerikanischen Multimilliardärs Jeff Bezos mit solchen »Steuervorbescheiden« mindestens zwischen Mai 2006 und Juni 2014 »wettbewerbswidrige Vorteile« eingeräumt, um den Internetversandhändler langfristig an Luxemburg zu binden, erklärten Premierminister Xavier Bettel und sein damaliger Wirtschaftsminister Etienne Schneider, »tax rulings« würden »von ganz vielen europäischen Ländern, nicht nur von den kleinen«, praktiziert und seien überdies »konform mit den internationalen Gesetzen«.

Das sah die EU-Kommission aber anders. Nach jahrelanger Prüfung erließ sie im Oktober 2017 eine Anordnung, nach der Luxemburg von Amazon Steuern in Höhe von 250 Millionen Euro plus der seitdem angefallenen Zinsen nachfordern sollte.

Zur Begründung hieß es, Luxemburg habe Amazon mit einem Steuervorbescheid ermöglicht, den größten Teil seiner Gewinne von einem Unternehmen des Amazon-Konzerns, das der Luxemburger Steuer unterliegt (Amazon EU), auf eine andere Tochterfirma zu verlagern, bei dem das nicht der Fall ist (Amazon Europe Holding Technologies).

Der Steuervorbescheid habe insbesondere vorgesehen, daß Amazon EU eine Lizenzgebühr an Amazon Europe Holding Technologies zahlt, so daß sich der zu versteuernde Gewinn von Amazon EU wesentlich verringerte. Diese Lizenzgebühren seien zudem »künstlich aufgebläht« worden. Unter dem Strich soll der Onlineriese auf drei Viertel seiner aus dem Umsatz in EU-Europa erzielten Gewinne keine Steuern gezahlt haben.

Doch der Staat Luxemburg wehrte sich mit Händen und Füßen gegen die von der EU aufgezwungene zusätzliche Viertelmilliarde für den Fiskus und reichte mit dem USA-Konzern Klage beim dem Europäischen Gerichtshof untergeordneten und ebenfalls in der Hauptstadt ansässigen Gericht der Europäischen Union ein. Das urteilte am Mittwoch, Amazon müsse keine Steuern an Luxemburg nachzahlen, weil die von der EU-Kommission erhobenen Vorwürfe nicht hinreichend nachgewiesen worden seien.

Ein für die GUE-NGL im EU-Parlament von einem Londoner Forscherteam besorgtes Gutachten, aus dem der »Deutschlandfunk« gestern exklusiv berichtete, kommt jedoch zu dem Schluß, Luxemburg stehe »im Mittelpunkt eines weltweiten Systems« von Amazon »zur Steuervermeidung«. Daraus gehe unter anderem hervor, »daß der Konzern den größten Teil der Gewinne außerhalb der USA in Luxemburg zusammenträgt«. Mittlerweile lägen hier 17,2 Milliarden US-Dollar, die nie in die Gewinn- und Verlustrechnung des Gesamtkonzerns eingeführt und deshalb auch nie in den USA versteuert worden seien.