Ausland21. Dezember 2023

Krise in Frankreichs Regierungslager

Schärferes Ausländergesetz mit den Stimmen der Rechten und Rechtsextremen in der Nationalversammlung angenommen

von Ralf Klingsieck, Paris

Das neue Ausländergesetz ist am späten Dienstagabend in der französischen Nationalversammlung angenommen worden – und hat eine innenpolitische Krise ausgelöst. Für den Kompromißtext, den am Montag eine paritätische Kommission aus je sieben Abgeordneten und Senatoren ausgehandelt hat, stimmten zusammen mit der Mehrheit des Regierungslagers sämtliche Abgeordneten der rechtsbürgerlichen Oppositionspartei der Republikaner (LR) und die faschistischen und rechtsextremen Abgeordneten des Rassemblement National (RN).

Insgesamt 59 Abgeordnete des Regierungslagers und der mit Macron verbündeten Zentrumsparteien, darunter ein Viertel der Fraktion der Regierungspartei Renaissance, verweigerten dem Text ihre Stimme. Im Vorfeld der Abstimmung haben sieben Minister der Regierung von Premierministerin Elisabeth Borne, darunter Gesundheitsminister Aurélien Rousseau und Verkehrsminister Clément Beaune, aus Protest gegen das Zusammengehen mit den Rechtsextremen ihren Rücktritt angekündigt.

Daraufhin ließ Präsident Emmanuel Macron bekanntgeben, daß er die Annahme des Ausländergesetzes nur anerkennen werde, wenn dafür nicht die Stimmen des rechtsextremen RN nötig gewesen wären. Die Auszählung der Stimmen nach dem Votum ergab letztlich, daß es auch ohne RN gereicht hätte.

Zu diesem Vorbehalt hatte der Zentrumsparteivorsitzende François Bayrou, der die Abhängigkeit der Regierung von LR und RN scharf kritisiert hat, seinem Freund Emmanuel Macron geraten. Historisch gibt es dafür ein Beispiel: 1954 hat der seinerzeitige Regierungschef Pierre Mendes-France erklärt, er werde einen erfolgreich überstandenen Mißtrauensantrag im Parlament nur anerkennen, wenn dafür nicht die Stimmen der Kommunisten nötig seien. Tatsächlich konnte er so noch einige Monate weiter regieren, bevor er der nächsten Regierungskrise zum Opfer fiel.

Die Republikaner, auf deren Stimmen die seit der Wahl vom Juni 2022 nicht mehr über die Parlamentsmehrheit verfügende Regierung angewiesen ist und die nach wie vor über die Mehrheit im Senat verfügen, so daß sie dort das Gesetz in erster Lesung ganz wesentlich verschärfen konnten, betonen, daß der jetzt angenommene Text zu 90 Prozent ihren Positionen entspricht.

Die RN-Fraktionsvorsitzende Marine Le Pen spricht von einem »großen ideologischen Sieg« ihrer Bewegung. Sie betont besonders, daß sich die Regierung mit dem Gesetz das Prinzip der »nationalen Präferenz«, also die prinzipielle Bevorzugung geborener Franzosen, zu eigen gemacht hat, für das sich RN seit vielen Jahren einsetzt.

Während Präsident Macron für Mittwochabend ein Fernsehinterview zum Thema angekündigte, hat Premierministerin Elisabeth Borne am Mittwochmorgen in einem Rundfunkinterview erklärt, der jetzt angenommene Gesetzestext entspreche dem Wunsch der großen Mehrheit der Franzosen, die einerseits eine zügige Abschiebung von abgelehnten Asylbewerbern und von kriminellen Ausländern und andererseits die bestmögliche Integration derer wünschen, die arbeiten und durch ihr Verhalten beweisen, daß sie »die Werte der Republik« respektieren.

Zu den Maßnahmen, auf die die Rechten und die Rechtsextremen besonderen Wert gelegt haben und auf die die Regierung eingegangen ist, gehört die automatische Aberkennung der französischen Staatsangehörigkeit für Binationale, die wegen Mordes und anderer schwerer Verbrechen verurteilt wurden. Die Bedingungen für die Zuerkennung der Staatsangehörigkeit werden verschärft und insbesondere von den Sprachkenntnissen und einem »klaren Bekenntnis zu den Werten der Republik« abhängig gemacht. In Frankreich geborene Ausländerkinder bekommen nicht mehr automatisch mit der Volljährigkeit die französische Staatsangehörigkeit, sondern müssen sie im Alter zwischen 14 und 18 Jahren beantragen.

Gemäß dem Prinzip der »nationalen Präferenz« bestimmt das neue Gesetz, daß die Zahlung von Kinder- und Wohngeld oder anderer Sozialhilfeleistungen sowie die Zuweisung einer Sozialwohnung davon abhängig gemacht werden, daß der antragstellende Ausländer bereits mindestens fünf Jahre legal in Frankreich lebt oder – falls er keine Papiere hat – in Frankreich bereits seit mehr als 30 Monaten ein Arbeitsverhältnis hat und dafür Steuern und Sozialabgaben zahlt. Über die kostenlose staatliche Gesundheitshilfe, die LR abschaffen wollte, wird laut einem Kompromiß mit der Regierung Anfang kommenden Jahres gesondert verhandelt und entschieden.

Den Unmut vieler Universitäten hat der Gesetzespassus erregt, wonach Ausländer, die in Frankreich studieren wollen, dafür eine Kaution hinterlegen müssen. Dies, so erklärten die Präsidenten von 18 renommierten Universitäten, angefangen mit der Pariser Sorbonne, in einem Offenen Brief, sei »des Landes, das die Denker des ‚Zeitalters des Lichtes‘ hervorgebracht hat, unwürdig«.

Während die Antragstellung für die Legalisierung illegal in Frankreich lebender Ausländer bisher durch den Unternehmer, der sie beschäftigte, erfolgen mußte – was viele von ihnen unterlassen haben, um den illegalen Ausländer weiter in Abhängigkeit zu halten – können das jetzt die Ausländer selbst beantragen. Allerdings gibt es keinen Rechtsanspruch auf eine Legalisierung, wie es ursprünglich das Gesetz vorsah und was die Republikaner verhindert haben, sondern über jeden Fall müssen die Präfekte des jeweiligen Heimatdepartements des Antragstellers einzeln entscheiden.

In diesem Zusammenhang betont Innenminister Gérald Darmanin, daß die gegenwärtige Regierung die erste ist, die das Recht auf die Legalisierung illegaler Ausländer und die Bedingungen dafür in einem Gesetz festschreibt. Die bisherigen Regierungen – von der Wahl von François Mitterrand zum Staatspräsidenten 1981 an – hätten Legalisierungen immer nur kampagnenartig und als demonstrative Gnade gewährt.