Ausland28. November 2009

»Im Partisanenkrieg«

Unruhige Zeiten in der deutschen Politik nach dem Massaker von Kundus

Nach dem jüngsten Vertuschungsskandal im »Verteidigungsministerium« der BRD fordern Militärkreise eine bessere Einstimmung der Öffentlichkeit auf zivile Kriegsopfer in Afghanistan. Daß der Luftangriff auf einen Tanklaster in Kundus »Zivilisten zu Tode gebracht« habe, sei »von Anfang an klar« gewesen, erklärt ein Dozent an der Münchener Bundeswehr-Universität. Zivile Opfer lägen »im Wesen des Partisanenkriegs« begründet.
Dies dürfe nicht verschleiert, sondern müsse »der Öffentlichkeit offen erklärt« werden, um Kritik und ähnlichen Skandalen nach künftigen Ziviltoten vorzubeugen.
Der Bericht der deutschen Feldjäger über das Massaker von Kundus geht nicht wesentlich über den bisherigen Kenntnisstand hinaus. So dokumentiert der Bericht zahlreiche zivile Verletzte, darunter Jugendliche, die kurz nach dem Massaker im Krankenhaus von Kundus behandelt wurden; dort habe man auch Leichen von Kindern gesehen, die als Opfer des Luftschlags eingestuft wurden. Auch bestätigt der Bericht, daß die Aufklärungsbilder, die von US-Flugzeugen geliefert wurden, eine Unterscheidung von Zivilisten und Kombattanten nicht zuließen – ein hinlänglich bekannter Sachverhalt, der nicht nur beim Angriff auf den Tanklaster verheerende Folgen hatte.
Schließlich bekräftigt das Dokument, daß der V-Mann der deutschen Militärs, der als Zeuge dafür genannt wird, daß sich angeblich nur Aufständische bei den Tanklastern aufhielten, keinen Sichtkontakt zu den Fahrzeugen hatte. Es sei »offensichtlich« gewesen, »daß der Bombenabwurf zu zahlreichen Toten und Verletzten führen wird bzw. geführt hat, ohne daß unmittelbar vor und nach dem Vorfall adäquat gehandelt wurde«, heißt es in dem Feldjäger-Papier.

Wegen des offenkundigen Widerspruchs zwischen den Verlautbarungen des Ministeriums und den Tatsachen, die nach Auskunft des Feldjäger-Berichts dem Ministerium schon früh bekannt waren, sind am Donnerstag zwei Militärs von ihrem Amt zurückgetreten, die den Umbau der Bundeswehr zur weltweit intervenierenden Kampftruppe über lange Jahre begleitet hatten. Wolfgang Schneiderhan war von 2000 bis 2002 als Leiter des Planungsstabes im »Verteidigungsministerium« tätig; während dieser Zeit wurde die Intervention der Bundeswehr in Afghanistan in die Wege geleitet. Vom 1. Juli 2002 an begleitete Schneiderhan den Afghanistan-Einsatz als Generalinspekteur der Bundeswehr.

Oberstleutnant der Reserve Peter Wichert hatte den Posten des Staatssekretärs im »Verteidigungsministerium« bereits seit 1991 inne; in den frühen 90er Jahren wirkte er an den Weichenstellungen für die »Transformation« der Bundeswehr mit. Im Jahr 2000 erstmals entlassen, kehrte er 2005 auf den Posten zurück, bis er ihn vorgestern erneut räumen mußte. Schneiderhan und Wichert befanden sich kurz vor dem Ruhestand.

Rechtfertigen statt leugnen

Militärkreise werfen beiden sowie dem ehemaligen Minister Franz Josef Jung (CDU) vor, beim Umbau der Bundeswehr zur globalen Interventionsarmee nicht offensiv genug in der Öffentlichkeit für den Krieg geworben zu haben. Wie etwa Michael Wolffsohn, Professor an der Münchener Bundeswehr-Universität, urteilt, sei »das schlechte Image« der Streitkräfte auch dadurch zu erklären, »daß weder die deutsche Politik noch die Bundeswehrführung der deutschen Öffentlichkeit das Wesen des Partisanenkriegs erklärt hat«. Der neue Minister Guttenberg hatte das Bombardement von Kundus trotz der Ziviltoten für »angemessen« erklärt – ein Hinweis auf die von Wolffsohn geforderte Strategie, tote Zivilisten nicht mehr zu leugnen, sondern sie zu rechtfertigen.

Welche unmittelbaren Folgen der Versuch des Verteidigungsministeriums, die Aufklärung des Massakers zu behindern und den Feldjäger-Bericht zu verbergen, über den Rücktritt des Bundeswehr-Generalinspekteurs und eines Staatssekretärs hinaus hat, ist noch offen. Gegen den ehemaligen Verteidigungsminister Franz Josef Jung ist bereits Anzeige wegen Strafvereitelung im Amt erstattet worden. In Bedrängnis bringt der Bericht zudem die Generalbundesanwältin, die Ermittlungen aufzunehmen hat, sollte auch nur ein Anfangsverdacht auf ein Kriegsverbrechen vorliegen. Ein solcher ist im Falle des deutschen Obersts Georg Klein, der den Luftangriff angefordert hat, nicht mehr zu leugnen.

Unabhängig davon hatte der Bremer Rechtsanwalt Karim Popal angekündigt, in Berlin Beweise vorzulegen, daß die Zahl der zivilen Opfer des Massakers sich sogar auf 178 beläuft – darunter rund 20 Verletzte und rund 20 Verschollene. Popal vertritt gemeinsam mit drei Kollegen 78 afghanische Familien, die Opfer beklagen. Er hat mehrfach in Kundus recherchiert und dabei mit der UNO sowie mit afghanischen Menschenrechtsorganisationen kooperiert.

german-foreign-policy.com