Leitartikel18. Januar 2024

Fata Morgana »Trickle-Down-Effekt«

von

Alle Jahre wieder: Im Schweizer Luftkurort Davos begann am Montag das »Weltwirtschaftsforum« (WEF) seine Jahrestagung. Bis Freitag treffen sich dabei Milliardäre, Topmanager von Finanz-, Industrie-, Energie- und Medienkonzernen sowie Multiplikatoren mit Einfluß auf Politik, Propaganda und Kultur. Gerne auch ein paar Generäle. Nur die internationale Hilfs- und Entwicklungsorganisation Oxfam rührte wie jedes Jahr Wasser in den Wein.

Gutes für die übergroße Mehrheit der mittlerweile gut acht Milliarden Erdenbewohner ist aus Davos noch nie gekommen – allenfalls Variationen vom längst widerlegten »Trickle-Down-Effekt«. Dieser neoliberalen Behauptung zufolge verteilen sich die Früchte menschlicher Arbeitskraft quasi automatisch durch die gesellschaftlichen Klassen und Schichten von oben nach unten. Ergo müssen Superreiche nur lange genug mit Geld vollgestopft werden, bis sie einen Teil davon (per Investment oder großzügiger Spende) »nach unten« weitergeben.

Wie sich das wirtschaftliche Credo insbesondere der USA tatsächlich auswirkt, hat Oxfam in seiner Studie »Inequality Inc.« aufgelistet: Seit 2020 haben allein die fünf reichsten Einzelpersonen der Welt, allesamt Männer, ihr Vermögen von 405 Milliarden auf 869 Milliarden US-Dollar mehr als verdoppelt, während das addierte Vermögen aller Milliardäre weltweit in der »multiplen Krise« dreimal so schnell gestiegen sei wie die Verbraucherpreise in den USA.

Auf der anderen Seite der kapitalistischen Medaille hätten die fast fünf Milliarden ärmsten Menschen der Welt in dieser Zeit zusammen 20 Milliarden US-Dollar verloren. Während Milliardäre vor allem durch den deutlichen Anstieg der Preise für Lebensmittel und Energie im Jahr 2022 noch reicher geworden seien, hätten die Löhne bei 791 Millionen Arbeitern nicht mit der Inflationsrate mitgehalten, so daß im Durchschnitt jeder von ihnen in zwei Jahren fast einen Monatslohn eingebüßt habe.

In ihrer Auswertung kommen die Oxfam-Experten zu dem Schluß, daß die Welt bei der aktuellen Wachstumsrate schon in zehn Jahren ihren ersten Dollar-Billionär haben könnte. Die globale Armut dagegen wäre auch in 230 Jahren noch nicht überwunden. »Milliardäre werden reicher, die Arbeiterklasse hat zu kämpfen und die Armen leben in Verzweiflung. Das ist der unglückliche Zustand der Weltwirtschaft«, schreibt USA-Senator Bernie Sanders im Vorwort der Studie. Nie zuvor habe es eine solche Ungleichheit bei Einkommen und Vermögen gegeben, »Gier, Arroganz und Verantwortungslosigkeit« seien beispiellos.

Von einem »Trickle-down« kann also eindeutig keine Rede sein, sondern von einer Umverteilung von unten nach oben. Um dem entgegenzuwirken, fordert Oxfam eine Besteuerung hoher Vermögen. Die Mittel daraus müßten in den Klimaschutz, den Ausbau von Bildung, Gesundheitsversorgung und sozialer Sicherung gesteckt werden. Konkret wird den Regierungen in aller Welt vorgeschlagen, eine zweiprozentige Steuer auf Vermögen oberhalb von fünf Millionen US-Dollar, von drei Prozent auf Vermögen, die 50 Millionen US-Dollar überschreiten, und von fünf Prozent auf Vermögen von mehr als einer Milliarde US-Dollar einzuführen.

Betroffen wäre nur ein winziger Bruchteil der Bevölkerung – in Deutschland zum Beispiel gerade einmal 0,24 Prozent. Doch wie gesagt: Für die übergroße Mehrheit der acht Milliarden Menschen ist aus Davos noch nie Gutes gekommen.