Ausland12. Februar 2025

Aus Sorge um die Zukunft

Franzosen sind Meister im Sparen

Trotz Zins-Kürzung hält der Run aufs Sparbuch »Livret A« an

von Ralf Klingsieck, Paris

UTL:

Auf Beschluß der Regierung von Mitte Januar ist der Zinssatz für das sehr beliebte Sparbuch »Livret A« ab 1. Februar von 3 auf 2,4 Prozent gesenkt worden. Begründet wurde dies mit der »nachlassenden Inflation«. Der relativ hohe Satz von 3 Prozent galt seit Februar 2023. Doch auch durch die neuen Zinsen würden die Sparguthaben zuverlässig vor Wertverlust geschützt, da sie immer noch höher seien als die Inflationsrate, versicherte Wirtschafts- und Finanzminister Eric Lombard.

Genau dieselben Bedingungen wie für das »Livret A« gelten auch für das Sparbuch für nachhaltige und solidarische Entwicklung LDDS (Livret de développement durable et solidaire), weshalb diese »Zwillingsbrüder« auch immer zusammen genannt und gezählt werden. Der Zinssatz des »Livret A« wird zweimal im Jahr durch den Gouverneur der Banque de France, François Villeroy de Galhau, anhand der wirtschaftlichen Lage und Entwicklung des Landes überprüft, und dieser schlägt der Regierung Erhöhungen oder Senkungen vor.

Dieser Satz ist von großer politischer Tragweite, denn der Ertrag dieser Anlagen fließt als Investitionen in den Bau von Sozialwohnungen und in die Sanierung von sozial benachteiligten Wohnvierteln. »Die Zinssenkung stimuliert den Wohnungsbau, der zu den Schwerpunktbereichen der Regierung gehört«, versicherte Minister Lombard. Entsprechend positiv wird die Entscheidung daher auch von den Berufs- und Unternehmerverbänden der Bauwirtschaft bewertet. Begrüßt wird die Zinssenkung des »Livret A« aber auch durch die Versicherungswirtschaft, die als Konkurrenz zu den Sparbüchern Lebensversicherungen vermarktet und jetzt mit vielen neuen Vertragsabschlüssen rechnen kann.

Doch das wird nicht viel an der Spitzenposition des »Livret A« ändern, zumal 82 Prozent aller Franzosen eins besitzt. Allein zwischen Januar und November 2024 wurden darauf 17,5 Milliarden Euro eingezahlt, so daß sich das Gesamtguthaben auf 582 Milliarden Euro erhöhte. Im Schnitt sind auf einem »Livret A« 5.800 Euro »geparkt«, während die erlaubte Höchstgrenze bei 22.950 Euro liegt.

Wenn die Regierung mit der Zinssenkung auch die Hoffnung verbunden hatte, die Haushalte würden auf einen Teil ihrer Sparguthaben zurückgreifen, um mehr zu konsumieren, und dies würde der Wirtschaft einen willkommenen Schub versetzen, dann hat sie sich getäuscht. »Der Verbrauch der Haushalte stagniert seit Monaten und das dürfte vorläufig so bleiben«, stellt Philippe Crevel, Direktor der Studiengesellschaft Cercle de l‘épargne, fest. »Die Zinssenkung des ‚Livret A‘ kurbelt nicht automatisch den Konsum an, denn da spielen vor allem psychologische Momente mit«, ist er überzeugt. »Das mangelnde Vertrauen der Haushalte in die wirtschaftliche und politische Stabilität und in die Entwicklung des Landes beeinflußt sie stärker als der Zinssatz.«

Das in Frankreich stark verbreitete Streben, für Rückschläge im Leben vorzusorgen, machte sich ganz besonders während der Corona-Pandemie bemerkbar. Weil in dieser Zeit weniger konsumiert werden konnte, haben die Franzosen zusätzliche 240 Milliarden Euro in Form von Aktien, Spareinlagen oder Lebensversicherungen zurückgelegt, und diese Reserven bleiben seitdem auch weitgehend unangetastet.

Experten zufolge sparen die Franzosen mehr als nötig. Diese Vorsicht zeuge von einem starken Gefühl der Unsicherheit der Zukunft gegenüber und vor allem hinsichtlich ihrer materiellen Lage im Rentenalter. »Die Erwartungen meiner Kunden sind sehr unterschiedlich«, sagt beispielsweise die Anlageberaterin Alexandra Nabet, »aber die Renten spielen eine zentrale Rolle. Die meisten Kunden suchen nach Möglichkeiten, sich für das Alter ein zusätzliches Einkommen zu sichern.«

Umfragen zufolge sparen sieben von zehn Franzosen regelmäßig, und im Schnitt werden heute von ihnen 17,5-18 Prozent ihres Monatseinkommens beiseite gelegt. Vor der Covid-Pandemie waren es rund 15 Prozent. Damit liegt Frankreich mit an der Spitze in der EU und wird nur von Deutschland übertroffen, wo es im Schnitt 19 Prozent des Monatseinkommens sind.

Die Vorsorge für schwierigere Zeiten wird von der Regierung gewürdigt und gefördert. Um auch die Menschen mit geringeren Einkommen anzuregen, Rücklagen zu bilden, wurde 1982 das »Volkssparbuch« LEP (Livret d‘épargne populaire) geschaffen, dessen steuerfreier Zinssatz sogar noch etwas höher liegt als der des »Livret A«. Auch jetzt bei der inflationsgesteuerten Zinssenkung war dies wieder der Fall. Wäre es nur nach der gesetzlichen Norm gegangen, hätte man den Satz von bisher 4 auf 2,9 Prozent senken müssen, doch tatsächlich gewährt die Regierung den LEP-Inhabern jetzt 3,5 Prozent. Vor zwei Jahren ist bereits die Höchstgrenze für ein LEP-Guthaben von 7.700 Euro auf 10.000 angehoben worden.

Allerdings kann sich nicht jedermann ein solches Volkssparbuch anlegen lassen, sondern nur Einzelpersonen mit einem steuerpflichtigen Jahreseinkommen von nicht mehr als 22.419 Euro oder Ehepaare mit nicht mehr als 34.393 Euro. Damit haben 19 Millionen Bürger Anspruch auf ein LEP, doch bisher machen nur 11,8 Millionen Gebrauch davon. Immerhin besitzen diese auf ihren Sparbüchern zusammen 82,2 Milliarden Euro.

Doch bei vielen armen Haushalten reicht das Geld knapp fürs tägliche Leben und zum Sparen bleibt nichts übrig.