Ausland31. Januar 2023

Seit Jahrzehnten Pflegenotstand in Italien

Im Gesundheitswesen fehlen 30.000 Ärzte und 250.000 Krankenpfleger

von Gerhard Feldbauer

Für die Lieferung von Waffen zum Krieg in der Ukraine gibt Italien unter der Regierung der faschistischen Ministerpräsidentin Meloni Milliarden Euro aus. Allein die im Dezember durch das linke Online-Magazin »Manifesto« bekannt gewordene Lieferung von Samp-T-Raketenbatterien, deren Anzahl offiziell nicht bekanntgegeben wurde, kostet pro Batterie samt 32 Aster-Raketen rund 800 Millionen Euro.

Dem öffentlichen Gesundheitswesen fehlen dagegen zur Sicherung eines Minimums an Betreuung mindestens 50 Milliarden Euro, stellte vergangene Woche ein Bericht des Forschungszentrums für angewandte Wirtschaftsforschung im Gesundheitswesen (CREA Sanità) fest, an dem über 30 Forscher und Experten mitarbeiteten. In den Einrichtungen fehlen 30.000 Ärzte und 250.000 Krankenpfleger. Es ist ein seit Jahrzehnten anhaltender Pflegenotstand, gegen den nichts unternommen wurde. Von 2000 bis 2021 wurden in Italien durchschnittlich 2,8 Prozent pro Jahr für das Gesundheitswesen ausgegeben, etwa die Hälfte dessen, was in den anderen EU-Referenzländern investiert wurde. 2021 lag die öffentliche Finanzierung bei 75,6 Prozent der Ausgaben, während sie in der EU bei einem Durchschnitt von 82,9 Prozent lag. Das führt laut der CREA Sanità zur Zunahme der wirtschaftlichen Notlage durch Gesundheitskosten, von der 5,2 Prozent der Familien betroffen sind. Darüber hinaus verarmen 378.627 Haushalte (1,5 Prozent) aufgrund der Ausgaben für Gesundheit.

»Um uns zu erholen«, so der Bericht, sei eine Aufstockung der Mittel um 10 Milliarden pro Jahr für die nächsten fünf Jahre nötig, um zumindest das gleiche Wachstum wie in anderen EU-Ländern zu gewährleisten. In den öffentlichen Finanzdokumenten werden jedoch weniger als 2 Milliarden pro Jahr prognostiziert, »ein Siebtel dessen, was benötigt wird«. Es müßten 30,5 Milliarden investiert werden, »um uns an die Situation der Arbeitskräfte der EU anzugleichen«. In Italien gebe es zwar etwas mehr Ärzte auf 1.000 Einwohner (Laut Statistik 2017: 4,09), »aber wenn wir die über 75-Jährigen berücksichtigen, könnten etwa 30.000 und mindestens 15.000 fehlen und es müßten etwa 12.000 pro Jahr eingestellt werden, um das Gleichgewicht wieder herzustellen«.

Noch gravierender ist der Mangel an Krankenschwestern: Er übersteigt 250.000 Einheiten im Vergleich zu den EU-Parametern. Während die Meloni-Regierung behauptet, sie erfülle die geforderten EU-Reformen, was in Brüssel auch hingenommen wird, werden laut dem Bericht allein für das neue, von der EU im Wiederherstellungsplan entworfene Modell zwischen 40.000 bis 80.000 mehr benötigt. Dies seien »unerreichbare Zahlen«, die Crea Sanità auch darauf zurückführt, daß »Italienische Ärzte durchschnittlich 6 Prozent weniger und Krankenschwestern durchschnittlich 40 % weniger als ihre europäischen Kollegen verdienen«.

Wollte man neben der erforderlichen Belegschaft auch die notwendige Neubewertung der Löhne berücksichtigen, würde die Belastung durch die laufenden Ausgaben auf 86,8 Milliarden Euro steigen. Ohne diese Ressourcen und ohne das Personal sei es auch unmöglich, »die 65 Prozent der während der Pandemie verlorenen Dienste wiederherzustellen«.

Gegen diese Zustände, gegen die im Haushalt für 2023 »nur Krümel« vorgesehen sind, hatten die Ärzte in den vergangenen Monaten mehrfach protestiert. Eine Erklärung von Ärzten und Gesundheits-Experten der Gewerkschaften CGIL, UIL, CISL und weiteren Verbänden warnte, die von der Regierung hingenommenen »unerträglich gewordenen Arbeitsbedingungen des Gesundheitspersonals schüren eine Krise der öffentlichen Gesundheit«. Die einzige Reaktion der Meloni-Regierung ist, daß das medizinische Personal »auf freiwilliger Basis« bis zu einem Alter von 72 Jahren im Dienst bleiben soll, was die Gewerkschaften mit einem klaren »Nein« beantworteten.