Ausland07. Januar 2010

Obamas Spiegelgefecht mit den Diensten

»Wir sind der Kugel entkommen, aber nur knapp«, soll der Präsident und Friedensnobelpreisträger Barack Obama beim Treffen mit den Spitzen des ausufernden US-Sicherheits- und Terrorapparats im »Situation Room« des Weißen Hauses gebrüllt haben. Als er später vor die Presse trat, sei »sein Blick kalt und nüchtern« gewesen, heißt es bei Agenturen.

Seine Worte hätten »wie Peitschenhiebe« geklungen als er sagte »Wenn ein mutmaßlicher Terrorist imstande ist, am Weihnachtstag mit Sprengstoff an Bord eines Flugzeugs zu gelangen, hat das System auf potenziell desaströse Weise versagt«. Die Sicherheitslücken seien schnell zu schließen, Reformen »sofort« umzusetzen.

Obamas Schauspiel vor der Presse brachte jedoch nichts, was die undurchsichtigen Hintergründe des angeblichen Attentats des Nigerianers Abdulmutallab auf dem Flug von Amsterdam nach Detroit erhellen würde – eine Aktion, die alle Züge einer Geheimdienstoperation unter falscher Flagge trägt. Offensichtlich soll die Öffentlichkeit auf neue Schritte der »Terrorbekämpfung« vorbereitet werden, die mit noch mehr Überwachung, Kontrolle und Abbau der Bürgerrechte weitere Hindernisse auf dem Weg in die totalitäre »Demokratie« beseitigen sollen. Zugleich soll damit dem »globalen Krieg gegen den Terror«, der zur Legitimierung weltweiter militärischer Interventionen zur Durchsetzung der imperialen Interessen Washingtons dient, neuer Schwung gegeben werden.

Nun sollen auch die Obama-Anhänger, die sich bei der Präsidentenwahl mit ihrer Stimme für Obama gegen die US-Kriege entscheiden wollten, in das ungezügelte Streben nach globaler Dominanz eingebunden werden. Abdulmutallabs fehlgeschlagener Anschlag und die ungewöhnliche und schnelle Übernahme der Verantwortung dafür durch eine obskure, angebliche Al-Kaida-Filiale im Jemen haben die Metamorphose des Friedensnobelpreisträgers Obama zum obersten globalen Terror-Kämpfer perfekt gemacht.

Für die Inszenierung dieser Verwandlung hätte Wa­shington keine bessere Kulisse als die Geheimdienst-Schelte im »Situation Room« finden können. Nichts ist überzeugender, als wenn sich ein Mann des Friedens unter der Last hinterhältiger und gemeiner Angriffe der Bösen schließlich dazu durchringt, selbst Gewalt anzuwenden – ein Thema, das in zahllosen Hollywood-Filmen als »typisch amerikanisch« verherrlicht wird. Und genau das hat Obama in Washington am Dienstagabend zur besten Sendezeit der US-amerikanischen Bevölkerung vorgespielt. Der Präsident, der bisher den menschenverachtenden und mörderischen Aktionen der US-Geheimdienste kritisch gegenüberstand, bremst nun die Dienste nicht mehr, sondern unter dem Eindruck des jüngsten »Anschlags auf Amerika« feuert er sie an, noch mehr zu tun.

Derweil liefern die bürgerlichen Medien in den USA und in Europa die Begleitmusik zu diesem Schmierenstück mit Meldungen, daß den Chefs der US-Dienste »nichts anderes übrig geblieben (sei), als Obamas Schelte kleinlaut hinzunehmen« und daß der Geheimdienstkoordinator Dennis Blair dazu gehorsam erklärt habe, daß die Dienste »die Botschaft verstanden haben und versprechen, noch mehr Fortschritte zu machen, um uns den neuen Herausforderungen zu stellen«.

Personelle Konsequenzen für das »Versagen« ihrer Dienste brauchen die Geheimdienstchefs nicht zu fürchten. Nicht einmal zwischen den Zeilen hat Obama derlei Strafmaßnahmen angedeutet. Auch dabei folgt er seinem Vorgänger George W. Bush. Der hatte den CIA-Chef George Tenet mit der höchsten staatlichen Ehrung ausgezeichnet, offensichtlich weil sein Dienst und auch er persönlich gleich zwei Mal entscheidend versagt hatten. Trotz aller Hinweise und Warnungen und sogar eigener Planspiele über Terroranschläge mit Flugzeugen auf Hochhäuser hatte der 11. September die USA angeblich völlig unvorbereitet getroffen. Auch bei der Suche nach den nicht vorhandenen irakischen Massenvernichtungswaffen, deren Existenz sie zuvor noch »bewiesen« hatte, hat die CIA letztlich total versagt.

Dennoch wurde Tenet hoch dekoriert, denn im ersten Fall lieferte er – zumindest durch Wegsehen – die Legitimation für den Einmarsch in Afghanistan und damit den Beginn des »globalen Krieges gegen den Terror«, und im zweiten den Vorwand für den Angriffskrieg gegen den Irak. Daher haben auch die derzeitigen US-Geheimdienstchefs wegen ihres »Versagens« von Obama nichts zu befürchten.

Rainer Rupp