In Opposition zur PLO
Die Hamas ist eine Kreatur Israels
Wie konnte die Hamas eigent-lich zur vorherrschenden politischen Kraft im Gazastreifen werden?
Wie so oft, gibt es dafür mehrere Erklärungen. Einer-seits haben es die Hamas-Führer in den letzten Jahren geschickt verstanden, aus der Enttäuschung der großen Mehrheit der Paläs-tinenser über das fortdauernde Besat-zungsregime und seine Fol-gen für die betroffenen Men-schen und aus den immer wieder enttäuschten Hoffnungen auf eine friedliche Regelung durch Verhandlungen Vorteil zu ziehen und sich mit radikalen Parolen als die ent-schiedensten Gegner Israels darzustellen.
Geschickt wurden dabei auch die führenden Kreise der Palästinensischen Be-freiungsorganisation (PLO) als hemmungslose Opportu-nisten und Verräter an der nationalen Sache diskredi-tiert, die sich auf diese Ver-handlungen eingelassen hat-ten und von Israel, obwohl gewisse Abkommen und Zwischenregelungen zustande gekommen waren, durch deren Nichteinhaltung immer wieder bloßgestellt wurden.
Auf der anderen Seite verstand es die Hamas zu-gleich, Versäumnisse der 1994 installierten PLO-geführten palästinensischen Autonomie-Behörde im sozialen Bereich zu nutzen, indem sie wie die islamistischen Bewegungen in vielen anderen Ländern ein eigenes, religiös etikettiertes Netzwerk der so-zialen Hilfe und Betreuung für Arme und Notleidende schuf. Dabei konnte sie auch Fälle tatsächlicher Korruption und Bereicherung mancher PLO-Führer wirkungsvoll instru-mentalisieren.
Aber es darf auch nicht ausgeklammert werden, daß es ursprünglich die Machtha-ber Israels selbst waren, die die Hamas in den Sattel ho-ben, um damit die Wider-standsbewegung zu spalten und die in der PLO vereinten, nicht religiös gebundenen Kräfte zu disqualifizieren.
Vor zwanzig Jahren hatte die israelische Besatzung in den Palästinensergebieten gegen den von der PLO or-ganisierten Widerstand einen schweren Stand. Damals hat Tel Aviv die Verwurzelung der Vorläufer der Hamas in den besetzten Gebieten bewußt gefördert.
Der spätere Hamas-Gründer Ahmed Yassin kehr-te in den siebziger Jahren nach einem Studium an der islamischen Al-Azhaer-Universität in Kairo mit einem dort frisch erworbenen Diplom nach Gaza zurück. Er verzichtete zunächst jedoch weitgehend auf politische Aktivität. Zusammen mit anderen religiösen Aktivisten or-ganisierte er den Aufbau ei-nes sozialen Wohlfahrts- und Betreuungsnetzwerks, das zumeist im Umfeld der Moscheen angesiedelt war. Dabei wurde er von der zuständigen israelischen Militärverwaltung tatkräftig unterstützt und gefördert.
Die französische Tages-zeitung »Le Monde« zitierte am 18.11.1987 aus einem Bericht der israelischen Wo-chenzeitung »Koteret Ras-hit«, daß »die Mi-litärregierung davon überzeugt (war), daß diese Aktivitäten die PLO und die Linksorganisationen in Gaza schwächen werden«. Die Is-lamisten, heiß es weiter, »erhielten die Genehmigung, Geld aus dem Ausland kom-men zu lassen«.
Auch in der Internet-Enzyklopädie »Wikipedia« ist zu lesen: »Der politisch-karitative Arm der Hamas wurde in dieser Zeit von Israel anerkannt. Zunächst erfolgte neben einer finanziellen Unterstützung auch organisatorische Hilfe.«
So konnten die islami-schen Fundamentalisten im Gazastreifen, zu deren Hin-termännern und Sponsoren die fundamentalistische »Moslem-Brüderschaft« ge-rechnet wird, im Schatten der israelischen Repression ein bedeutendes Netzwerk der Sozialhilfe ebenso wie ein Netz von Schulen und die Universität von Gaza aufbauen, aus der dann die späteren politischen Führungskader der Hamas hervorgingen.
Die israelischen Besatzer setzten nicht ohne Grund auf die Tolerierung und Förde-rung dieses islamistischen Netzwerks als Konkurrenz zur PLO. Denn dessen Führer und maßgebliche Kader hat-ten sich nie der der PLO an-geschlossen, die als überparteiliche und überkonfessionelle nationale Befreiungsorganisation aller Palästinenser die Vereinigung aller Wider-standskräfte unabhängig von ihrer politischen, weltan-schaulichen oder religiösen Ausrichtung anstrebte. Sie waren stets als Konkurrenz zur PLO aufgetreten.
Die »friedliche Koexis-tenz« der Islamisten mit der israelischen Militäradministration endete allerdings im Oktober 1987, als die PLO die erste »Intifada« ausrief und aktiv organisierte. Die Islamisten waren davon zunächst überrascht worden. Doch um ihren Einfluß in der Bevölkerung nicht einzubüßen und wieder zu vergrößern, entschieden sie sich schnell, auf den fahrenden Zug aufzu-springen. Zwei Monate spä-ter, am 14. Dezember 1987, gründeten sie offiziell die Hamas.
Doch jetzt waren sie nicht zur Zusammenarbeit mit den nicht-religiös orientierten Kräften der PLO und der palästinensischen Linken bereit. Statt dessen erhoben sie als »eigenständige« Widerstandsorganisation von Anfang an ihren Führungsanspruch. Als zentrales Ziel verkündeten sie die Schaffung eines »Islamischen Staates Paläs-tina«. Da erst gaben die führenden Kreise Israels vor, die Bedrohung zu entdecken, die die Hamas darstellte, nachdem sie bis dahin die durchaus wohlwollende Bevorzugung der Besatzungsmacht genossen hatte.
Dirk Grobe