Ausland29. Januar 2022

Geplänkel um Taxonomie

von Lucas Zeise

Der neue deutsche Wirtschaftsminister Robert Habeck stellt fest, daß die Billiganbieter von Strom über »kein belastbares Geschäftsmodell« verfügten. 40 dieser ehrenwerten Unternehmen haben im Verlauf des vergangenen Jahres ihre Lieferverträge für Strom zu mäßigen Preisen einseitig gekündigt und die Lieferungen eingestellt. Sie hatten, findet der Minister, auf »ewig günstige« Strompreise an der Energiebörse spekuliert. Jetzt, bei absehbar höheren Einstandspreisen, lassen sie die angelockten Kunden im Regen stehen, die nun beim regionalen Stromanbieter nur über extra teure Tarife weiter bedient werden.

Die Spekulanten am Strommarkt mit x Sondertarifen waren der ausdrückliche Wunsch verschiedener Bundesregierungen vor der jetzigen. Wir Normalbürger wurden aufgefordert, das dümmliche Spiel nach dem günstigsten Vermarkter mitzumachen und so den Strompreis angeblich für immer niedrig zu halten. Die Anbieter wurden ermuntert, »Ökotarife« zu offerieren, die ihnen anfangs ein paar Euro mehr brachten, bis alle begriffen hatten, daß über den »Ökotarif« genau derselbe Strom geliefert wird wie über den Standardtarif. Der Strom-»Markt« auf der Abnehmerebene war als Showveranstaltung gedacht, und dabei blieb es.

Den Grund dafür, warum in den nuller Jahren dieser Markt »liberalisiert« und die großen Stromproduzenten und Betreiber der Netze ein bißchen zerlegt wurden, kenne ich nicht. Wahrscheinlich wollte der Rest der Industrie tatsächlich günstigere Strompreise, was auch eine Weile lang funktioniert haben dürfte. Funktioniert hat auch die sogenannte EEG-Umlage. Sie hat vorwiegend auf Kosten der Endverbraucher erneuerbare Energien (Wind, Sonne, Wasserkraft) gefördert (und einigen munteren Förderern dieser Anlagen satt die Taschen gefüllt).

Vorläufige Schlußfolgerung: Man kann mit Staatseingriffen (Investitionsförderung und Investitionsbehinderung) die materielle Struktur einer ganzen Industrie radikal verändern. In großem Stil findet das in der Autobranche gerade statt. Die vom Staat gewährte Prämie für die Käuferin eines Elektroautos gehört auch dazu. Ab Anfang des Jahres erhält sie zusätzlich wie Tesla-Bauer Elon Musk Treibhausgasminderungs-(THG)-Quoten, die sie zu Geld machen kann. Grund dafür: Sie hat ja keinen Verbrenner gekauft. Ich allerdings auch nicht. Wo bleibt mein THG-Gutschein, wenn ich mit der Bahn nach Berlin fahre?

Zusammengefaßt geht es bei der gegenwärtigen Ökopolitik darum, wer die Staatszuschüsse abgreifen kann. Um das festzulegen, gibt es wissenschaftlich verbrämte Taxonomiespielchen. (»Taxonomisch« ordnen Biologen zum Beispiel den Menschen und den Delphin als Säugetier ein.)

Aktuell ist die EU-Kommission dabei, mit dem Segen der meisten EU-Regierungen die Atomkraft als »nachhaltig« und grundsätzlich »öko« einzuordnen. Ist das geschafft, haben die Atomkraftwerkbetreiber ganz wie die Elektroautobauer schon heute das Recht auf satte Zuschüsse über den Pseudomarkt der THG- und anderer Gutscheine. Keine Bange, die Finanzierung über die grundsätzlich steigenden Rüstungshaushalte kommt natürlich noch dazu.