Ausland05. Dezember 2023

Olivenöl als Gewinn- oder Verlustobjekt

Grundnahrungsmittel wird für viele Menschen in Griechenland unerschwinglich

von Hansgeorg Hermann, Chanià

Immer mehr Menschen in Griechenland können sich das Grundnahrungsmittel Olivenöl kaum noch leisten. Die schlechten Olivenernten der vergangenen beiden Jahre im gesamten Mittelmeerraum haben die Produktion des inzwischen weltweit begehrten Produkts halbiert, die Preise auf dem europäischen Markt haben sich verdreifacht. Auch die Berichte über die diesjährige Ernte fallen schlecht aus.

Für die Menschen im Heimatland des Olivenbaums eine bittere Situation. Familien mit zwei bis drei Kindern konsumieren dort pro Jahr rund 100 bis 120 Liter Öl. Das Geschenk der Göttin Athene ist an der Ägäis so wichtig wie das tägliche Brot. Statt vier bis fünf Euro pro Liter müssen Verbraucher in den Supermärkten nun bis zu 15 Euro bezahlen. Die rechte Regierung reagiert verhalten und pocht zunächst auf die Regeln des »freien Markts«. Ministerpräsident Kyriakos Mitsotakis, seit 2019 Vollstrecker neoliberaler Wirtschaftsprogrammatik, lobte die Entwicklung vor zehn Tagen: »Was für den Verbraucher problematisch sein mag, ist für den Erzeuger von Nutzen.« Die linke parlamentarische Opposition ergänzte: »Vor allem für die großen Produzenten«.

In der Tat begünstigt die Preisentwicklung, die auf die dramatische Verknappung folgte, Landwirte, die auf ihren Plantagen mit mehreren tausend Bäumen nicht allein aus dem Öl Gewinn erwirtschaften, sondern vor allem von den Subventionen der Europäischen Union profitieren. Das Jahreseinkommen der vielen Kleinbauern und Pächter dagegen hängt oft nur von zwei- bis dreihundert Olivenbäumen und einer guten Ernte ab. Der Klimaschock, der – nach Spanien, Italien und Tunesien – in diesem Jahr auch Griechenland mit andauernden Hitzewellen und Temperaturen von mehr als 40 Grad traf, läßt nicht nur die in zehn Jahren unter gnadenlosem EU-Sparzwang in die Armut getriebenen Verbraucher als Verlierer zurück, sondern auch die kleinen bäuerlichen Familienbetriebe.

Auf Kreta, das mit seinen 30 Millionen Olivenbäumen zu den größten und wichtigsten Anbaugebieten Griechenlands und Europas gehört, steht in diesem Winter eine Mißernte bevor. Die, das ist jetzt schon klar, wird das heimische Preisniveau erneut nach oben verschieben. Östlich der kretischen Hauptstadt Heraklion, wo es seit Anfang Mai nicht mehr geregnet hat, vertrockneten die bitteren Früchte. Das dort in der Vergangenheit für seine besonders hohe Qualität gelobte Öl wird es in diesem Jahr nicht geben. Aussicht auf eine erträgliche Ernte und eine – allerdings halbierte – Ölproduktion mit guter Qualität haben nur der Nordwesten Kretas und die südliche Peloponnes.

Der Meinung des am 26. Juni wiedergewählten Premiers Mitsotakis – seit der Wahl am 25. Juni mit absoluter Parlamentsmehrheit ausgestattet – widersprechen die meisten kleinen Erzeuger. »Wir wollen, daß die Leute in Athen und Thessaloniki unser Öl kaufen können«, sagt etwa Georgios Xirouchakis, Sprecher der Erzeugergemeinschaft Vamos, in die rund 50 Familien eingebunden sind. Die geforderte Lösung: Die Regierung müsse die im Handel verlangten Preise im Sinne der Verbraucher subventionieren.

Weil es zu wenig Öl gibt, tauchen im kapitalistischen Betrieb – wie immer in solchen Situationen – Fälscher und Betrüger auf. Der Chef der griechischen Behörde für Nahrungsmittelkontrolle (EFET), Antonis Zampelas, warnte in der vergangenen Woche öffentlich vor »Panschern«. Auf den Markt geworfen werde bereits jetzt »Öl von geringer Qualität«, meist aus schlechten Erzeugnissen fragwürdiger Herkunft zusammengemischte Ware. Familien sollten daher auf den Kauf von »billigem, offenem Öl ohne Qualitätsnachweis« verzichten und auf jeden Fall in Flaschen oder Kanistern angebotene Ware mit Kontrollnummer einkaufen. Gefahr drohe dem europäischen Handel mit Olivenöl vermutlich auch von den Börsen, fürchten Xirouchakis und seine Leute, wo das Produkt nicht als lebensnotwendiges Nahrungsmittel, sondern als Gewinn- oder Verlustobjekt bewertet und dem erzeuger- und verbraucherfeindlichen Kapitalverkehr preisgegeben werde.