Mit der Waffen-SS gegen Rußland
Skandal um Beifall für Waffen-SS-Mann in Kanadas Parlament führt zu ersten Konsequenzen
Der Skandal um den tosenden Beifall mit »standing ovations« für den ehemaligen Waffen-SS-Mann Yaroslav Hunka im kanadischen Parlament schlägt weiterhin hohe Wellen. Hunka war am Freitag vergangener Woche anläßlich eines Auftritts des ukrainischen Präsidenten Wolodimir Selenski vor dem Parlament in Ottawa offiziell als Gast begrüßt worden; der Sprecher des House of Commons, Anthony Rota, würdigte ihn mit den Worten, der 98-Jährige sei »ein ukrainisch-kanadischer Veteran aus dem Zweiten Weltkrieg«, der »für die ukrainische Unabhängigkeit gegen die Russen gekämpft« habe »und die Truppen heute weiterhin unterstützt«.
Rota betonte: »Er ist ein ukrainischer Held, ein kanadischer Held, und wir danken ihm für all seinen Dienst.« Hunka wurde daraufhin vom kanadischen Parlament und von Premierminister Justin Trudeau, von Präsident Selenski und dessen Gattin mit stehenden Ovationen geehrt. Dies geschah, obwohl keine großen historischen Kenntnisse erforderlich sind, um zu erahnen, daß ein Ukrainer, der im Zweiten Weltkrieg gegen die Sowjetunion (»die Russen«) kämpfte, dies an der Seite Nazideutschlands tat.
Hunka war 1943 als Freiwilliger in die 14. Waffen-Grenadier-Division der SS (Waffen-SS-Division Galizien) eingetreten und hatte als Angehöriger der Einheit am deutschen Vernichtungskrieg gegen die Sowjetunion teilgenommen – Kriegsverbrechen inklusive.
Massaker an polnischen Zivilisten
Hunkas Auftritt und der tosende Beifall für ihn führen inzwischen – nach Protesten jüdischer Organisationen, darunter die »Freunde des Simon-Wiesenthal-Zentrums für Holocaust-Studien« und »B‘nai B‘rith Canada« – zu ersten Konsequenzen. Parlamentssprecher Rota ist am Dienstag nach längerer Bedenkzeit zurückgetreten. Premierminister Trudeau begnügte sich bislang mit der Äußerung, er sei über den Vorfall »zutiefst beschämt«.
In Polen teilte Bildungsminister Przemysław Czarnek am Dienstag mit, er habe das Institut für Nationales Gedenken (Instytut Pamięci Narodowej, IPN) gebeten, »dringend zu prüfen«, ob Hunka verdächtigt werde, im Zweiten Weltkrieg auch Verbrechen an polnischen Bürgern begangen zu haben, darunter solche jüdischen Glaubens. Gebe es »Anzeichen für solche Verbrechen«, dann werde Warschau bei den kanadischen Behörden seine Auslieferung beantragen, um ihn vor Gericht stellen zu können.
Die Waffen-SS-Division Galizien hat tatsächlich Massaker unter anderem an polnischen Zivilisten begangen, so zum Beispiel am 28. Februar 1944 in dem Dorf Huta Pieniacka, in dem sie, nach unterschiedlichen Schätzungen, zwischen 500 und 800 Bürger Polens ermordete. Ihre Beteiligung an mehreren weiteren Massakern, bei denen zahllose polnische Menschen getötet wurden, ist historisch belegt.
Sicherer Hafen für Nazi-Verbrecher
Hintergrund für Hunkas Auftritt im Parlament in Ottawa ist nicht zuletzt, daß Kanada nach dem Zweiten Weltkrieg zum Zufluchtsort für große Teile der ukrainischen Nazi-Kollaboration geworden ist. Zwar verweigerte Kanada Mitgliedern der Waffen-SS offiziell die Einreise, gewährte der Waffen-SS-Division Galizien aber im Jahr 1950 eine prinzipielle Ausnahme. Im Jahr 1986 kam eine offizielle Untersuchung zu dem bemerkenswerten Schluß, »Vorwürfe wegen Kriegsverbrechen« gegen die Division seien »nie« angemessen begründet worden. Kritiker stuften Kanada schon vor Jahren als »sicheren Hafen für Naziverbrecher« ein. Zu den mutmaßlichen Kriegsverbrechern, die nie verurteilt wurden, gehörten auch Ukrainer, darunter ukrainische Mitglieder der Waffen-SS.
»Ehrendes Gedenken«
Der Skandal um den Beifall des kanadischen Parlaments für Hunka ruft in Erinnerung, daß Mitglieder unterschiedlicher Einheiten der Waffen-SS bis heute in diversen Ländern Europas geehrt werden – insbesondere in Osteuropa. Im Westen der Ukraine nahm im Sommer 2013 ein Abgeordneter der späteren Kiewer Regierungspartei »Swoboda« an einer Gedenkfeier zum 70. Jahrestag der Gründung der Waffen-SS-Division Galizien teil. Nachdem mehrere Jahre lang weitere Gedenkfeiern für die Division in der Westukraine abgehalten wurden – dort ist die vom Faschisten und Nazi-Kollaborateur Stepan Bandera geprägte Ausformung des ukrainischen Nationalismus besonders stark verankert –, marschierten am 28. April 2021 erstmals Hunderte durch Kiew, um an die Gründung der Waffen-SS-Einheit im Jahr 1943 zu erinnern.
»Kaum Berührungsängste«
Geehrt werden Mitglieder der Waffen-SS auch in den baltischen Staaten. In Estland zum Beispiel wurden seit den 1990er Jahren eine Reihe von Denkmälern errichtet, die lobend an estnische Freiwillige der Waffen-SS erinnern. Internationale Aufmerksamkeit erregte ein Gedenkstein in dem estnischen Dorf Mustla, der Alfons Rebane gewidmet ist, einem Esten, der zum Standartenführer (Oberst bzw. Colonel) der Waffen-SS aufstieg und nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs den Kampf gegen die Sowjetunion weiterführte, nun allerdings im Untergrund. 1961 floh er in die Bundesrepublik Deutschland.
Die Tageszeitung »Die Welt« konstatierte vor einigen Jahren, »in Estland wie in den beiden anderen baltischen Staaten Litauen und Lettland« seien zur Zeit »die Berührungsängste gegenüber der Waffen-SS ... gering«: »Viel wichtiger« erscheine »vielen Aktivisten vor Ort« heute die gemeinsame Positionierung »gegen den großen und aggressiven Nachbarn Rußland«.
In Lettland wiederum wird jedes Jahr ein öffentlicher Gedenkmarsch zu Ehren der lettischen Mitglieder der Waffen-SS abgehalten; der jüngste fand am 16. März dieses Jahres statt. Auch dort genießen die Nazi-Kollaborateure Wertschätzung als die entschlossensten Kämpfer gegen die Sowjetunion bzw. gegen Rußland.
Vorkämpfer für »westliche Werte«
In Deutschland führt dies seit einiger Zeit dazu, daß die Bundesregierung offiziell zu einer weicheren Haltung gegenüber Organisationen der Nazi-Kollaboration, darunter die Waffen-SS, übergeht. Dies zeigt sich an den regelmäßig durchgeführten Abstimmungen der UNO-Generalversammlung über Resolutionen, die sich gegen jede »Glorifizierung des Nazismus« aussprechen und in diese auch die Ehrung bzw. Verherrlichung unter anderem der Waffen-SS einbeziehen.
Jahrelang konnte sich die deutsche Bundesregierung nicht dazu durchringen, die Resolution zu unterstützen, sondern enthielt sich in der Abstimmung – mit der Begründung, der Wortlaut unterstelle »Personen, die sich in den 40er-Jahren für die Unabhängigkeit der baltischen Staaten von der Sowjetunion eingesetzt haben, pauschal eine Verbindung zu den nationalsozialistischen Verbrechen«.
Im November vergangenen Jahres nun lehnte es die deutsche Bundesregierung sogar explizit ab, die »Glorifizierung des Nazismus« zu verurteilen. Hintergrund dafür war der Ukraine-Krieg. Insgesamt stimmten 52 Staaten mit Nein – darunter fast alle, die sich gewöhnlich stolz als Vorkämpfer für »westliche Werte« inszenieren.